[...] 5. Die intransitive Innovationskraft einer realiter bestrittenen Maqāṣid al-Scharīʿa
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Der Exkurs in den Kern des eigentlichen Problems: Und dennoch kennt solche dominante Rechtsschöpfung und marginale Rechtsauslegung nur wenig Außerrechtliches wie es moderne Formen des Rechts herzustellen wissen: Jenes gründet sich schlicht in der Banalität des Mensch-Seins, mit der sich ein "Recht gegen sich selbst blind machen" muss (die private Willkür im Außen des Rechts, die in seinem Innen nicht detektiert werden kann und darf); es muss sich selbst begrenzen, es kann nicht in die intimsten und privatesten Nischen infrastaatlicher Öffentlichkeiten nachspüren, religiös und sozial programmieren. Der Nistort individual sprossender Willkür, die ein monotones gleichsam griechisches und islamisches Recht nicht in einer Form von Recht verkapseln können - als ein Recht, das sich schon dadurch genügen darf, bloß selbstreflexiv zu sein; natürliche als außerrechtliche Willensbildung, sei es auch nur private Strebung von Willkür, die sich gleichsam und stets einem (religiösen) Souverän zu entziehen suchen und einer sie einhegenden Mühewaltung von spektraler Interessenordnung, die im Innen des Rechts nurmehr regelgeleitet verhandelt werden, nicht zuletzt durch die Partikel überschießender Willkür formbar sein darf (Der Widerspruch zwischen einer idealistischen Willenstheorie oder Willkürtheorie und einer modernen Interessentheorie ist im Grunde keiner). Natürliche Rechte (der willkürlichen Strebung, Entfaltung) können nur dann als solche verstehbar werden, wenn sie von einer institutionalisierten Rechtssetzung legalisiert werden; erst der Akt der Rechtssetzung konstituiert sie (natürliche Rechte), indem er sie in das Außen seines zugrunde liegenden Rechts verdammt (hier ist der Mensch Individuum; tritt er in das Innen des Rechts ein, ist er Subjekt). Es verdankt sich einer irreduziblen Dopplung eines zuallererst performativen Rechts: der Ermöglichung von Interessen (wozu darf eine Inanspruchnahme von Rechten dienbar gemacht werden ?) und der gleichzeitigen und -räumlichen Erlaubnis (weshalb beziehen sich Rechtspflichten gerade auf jene oder diese Gründe) von Willkür (weil das Recht erlaubt, auch nach natürlichem Belieben zu wollen). Es geht indessen auch nur um eine durch das Recht selbsthervorgebrachte Normativität, die sich erst in ihrer formativen (wandlungsbefähigten) Legalität und durch diese zu autonomisieren weiß, die nicht länger Rückhalt in einer sittlichen Vernunft oder religiösen Letztbegründung zu finden sucht. Es ist ein Recht der Rechte, das nicht unmerklich ein beliebiges Recht sein darf, will es modern sein, sein muss. Die Bewusstwerdung eines selbstreflexiven normativen Rechts, das sich in seiner letztgründenden, sittlichen, vernünftigen oder religiösen Materialität nicht selbst begründen oder selbst legitimieren will, sondern nur selbst zu begrenzen sucht, indem es Räume schaffen will, in denen es nicht ist, weil es in ihnen nicht sein darf. Eine Unterscheidung, die ein islamisches Recht erst mühsam, nicht wenig konfliktarm aus einer holistischen Lesart islamischer Quelltexte (die Maqāṣid-Konzepte von al-Ghazālī und al-Shāṭibī) herauszulösen vermag; es sind die nicht unbekannten Probleme hinsichtlich ihrer Funktion und Substanz, die eine im „Westen“ so nicht wahrgenommene, genealogische Überwindung der überkommenen Rezeption und klassichen Konzeption der Maqāṣid al‐Scharīʿa überragend erschwert. Ein vielfach beschworener Lichtblick, der sich bei näherem Hinsehen selbst einzutrüben weiß. Die Motivation ent- und neugründender Umstellung von islamischen (Rechts-)gründen zu modernen Rechtszwecken unterfällt innerhalb einer sehr umtriebigen und agilen Rechtswissenschaft zuvörderst in zwei Tendenzunternehmen, die eine zeitgenössisch widerstreitende Reformdebatte spiegeln sollen: In den Ansatz ihrer nicht zwingend kriteriologischen Umdeutung und in den technischen Reflex einer bloßen Erweiterung ihrer klassischen Rechtszwecke, die insbesondere den neu zu verhandelnden Grundbedürfnissen des islamischen Menschen, den Weg in eine Moderne zu bedeuten haben. Eine letztlich religiöse Strebung, die den ultimativen Referenzrahmen klassischer Rechtszwecke nicht gänzlich quittieren will. Das Forum externum des islamischen Rechts, das den fuqahā (islamischen Juristen) überantwortet werden darf, tangiert hiernach nicht das Innen, die Gewissensanspannung des einzelnen Menschen, die je nur Allah zugänglich sein sollen. Ein Versprechen, das sich ein islamisches Recht scheinbar nur selbst abzunehmen weiß: Insoweit Allah eine auktoriale Mitwisserschaft zugestanden werden darf, ist ein solches Denken nicht strikt anti-ipseologisch oder gar antipolitisch, doch wird solches nicht unmerklich dadurch „neutralisiert“, als ein atheistisch oder politisch eingefärbtes Innen des Menschen nicht unbeschränkt eines göttlichen Diktums prozessieren dürfte. Ein unvollendeter Freiheitsraum eines im islamischen Recht vorgesehenen, tabuisierten Kernbereichs menschlicher Intimsphäre, der funktionabel sein muss, will er neue Autoritätsgründnung in protopolitischer Ermöglichung und aufruhender, politischer und formativer Rechtssetzung, die über eine zugelassene normative Umdeutung und Erweiterung hinausstrebt, einüben (beispielhaft bleibt der Schutz der Religion als Ritualnorm gleichrangiger Rechtszweck zu einem Schutz des Lebens). Die Verunmöglichung oder weitgehende Ausschaltung nicht-rechtlicher Responsivität von bloßem Denken, Meinen, Glauben und Dafürhalten in einem materialen Außen eines Rechts verhindern jegliche Übersprünge aus seinem tabuisierten Kernbereich menschlicher, experimentierender „Intimität“: Insoweit Übersprünge menschlichen Denkens, als sie in ein Zwischen von mannigfaltigen Privatsphären eintreten dürften; die es erst(-malig) ermöglichen könnten, gleichsam so etwas wie politische und nunmehr koalitionäre Willensbildung zu evozieren (der Mensch übersteigt hierbei seinen tabuisierten Kernbereich höchstpersönlicher Strebungen und verkapselt sich mit den preisgegebenen Privatsphären anderer Menschen). Erst mit diesem prozessualen Übersprung befähigen sich multispektrale Materialitäten selbst dazu, einem so projektierten Recht stets (außen-)konstitutiv vorausgehen und von einem Innen des Rechts konstitutionell vorausgesetzt werden zu können (indem das Innen des Rechts sein Außen erst in seinem Dasein und Sosein legalisiert, sprich erlaubt). Ein immanent politisches (erlaubtes) Dürfen im Außen des Rechts, das sich in seiner ermöglichten Rechtsbetätigung in einem Innen umstellen darf, statuiert sich uneigentlich durch einen weiteren Movens (erst jetzt wird ein Dürfen im Zwischen von Menschen realiter handlungsbefähigt): Das moderne Recht erlaubt nicht nur bloßes Dürfen (anderes Wollen, neues Wollen), es überführt es in die Ermöglichung eines beispielhaft partizipatorisch-rechtsetzenden Könnens, das anders möglich sein kann, das von etwas anderem abhängig sein darf (die Suche nach neuer majoritärer Autoritätsgründung oder ureigener islamischer Staatlichkeit, die ohne den Primat Islam hegemonial sein will). Eine moderne Rechtsordnung gewährt autologisch politische Rechte, weil modernes Recht nur unter dem hantologischen Signum seiner gründenden und entgründenden Politizität und Potentialität funktionsfähig werden kann. In einem freilich nur kursorischen Zugriff wird evident sichtbar, dass so etwas wie politische Rechte in den unabgeschlossenen klassischen, moderaten und modernisierenden Maqāṣid-Konzepten nicht einmal Erwähnung finden dürfen. Das Selbstverständnis der einzelnen Maqāṣid-Konzepte ruht freilich sehr reduktiv darin, dass die fünf Schutzzwecke des islamischen Rechts einer bloßen Gestaltung der menschlichen Existenz, den Regelungsvorbehalten zwischenmenschlicher Beziehungen zu unterfallen hätten: Dennoch ist es nicht minder ein Selbstverständnis, dass in einem solchen Zwischen der Menschen, sich das urtümliche Stratum sozialer Strittigkeit zuallererst prototypische Räume suchen muss, jene auch regelmäßig ohne die Wächterschaft eines islamischen Rechts (mit den Mitteln eines Politischen) zu erzeugen weiß. Aufmüpfige Strittigkeit, die autologisch politisch ist, die aber keine Anerkennungsverhältnisse in einer monolithischen normativen Ordnung abgeschlossener Rechtszwecke vorzufinden vermag, die stets eine revolutionäre Kräftigkeit eines „Arabischen Frühlings“ in die Untergeschosse des Gesellschaftlichen zurückzudrängen weiß; die überdies keine von der normativen Ordnung angebotenen, institutionalisierten Werkzeuge regelgeleiteten Streits aufzunehmen wüßte. Die klassifizierenden Dimensionen der islamischen Rechtszwecke erschöpfen sich in unterschiedenen, sogenannten notwendigen, erforderlichen und verbessernden Bedingungen der menschlichen Existenz: den Schutzzwecken der Religion, des Lebens, der Vernunft, der Nachkommen und des Eigentums. Soweit ein Recht politischer Betätigung suspendiert bleibt, setzt sich korrespondierend ein steuerungsmächtiges, irreversibles Partikel, das sich dem ultimativen Schutz der Religion dienbar zu machen hat, in der normativen Ordnung der Maqāṣid-Konzepte fest. Es wird zu einem purifiziert antipolitischen, nicht einmal unpolitischen Recht (was politisch sein kann) degradiert; es scheint wie ein klassisches griechisches, reines Reflexrecht zu sein, das vom Normadressaten allenfalls in seiner Ein- und Ausprägung wiederkehrend neu und monoton perpetuiert werden muss. Eine zeitkontextuale Mühewaltung der normativen Umdeutung und Erweiterung von islamischen Rechtszwecken durchschlägt verunmöglichtes politisches Anderes jedenfalls nicht. Schlussendlich zeigt sich hierin eine schon leichtsinnige Verschaltung von Recht und Nicht-Recht, mit der ein islamisches Recht nur schwerlich zu prozessieren weiß: Denn, eine materiale, rechtlich und nicht-rechtliche, insoweit doppelt reflexive Anerkennung normativer Ordnung heißt im modernen Recht, dass nicht-rechtliche Aktivation oder spektrale Interessenbildung (nur der sunnitische ist der „wahre“ Islam) niemals unbedingt Gültigkeit im Innen eines Rechts erlangen könnte. Unbedingt gültig ist nur das Recht, das nicht monoton ist; nur das Recht, das veränderbar ist und bleibt, ist gerechtes Recht modernen Zuschnitts. Hingegen bewährt sich die monolithische islamische Ritualnorm im islamischen Recht als überkommener Rechtsgrund, der vermittels einer nicht angreifbaren Substanz, die Islam heißt, gleichsam durch eine normenhierarchische und lebensweltliche Materialität hindurch, ein islamisches Recht für ein Nicht-Rechtliches insoweit öffnet, als eine religiöse Ritualnorm als privilegiertes Nicht-Rechtliches, sich zu einem Rechtsgrund in einem islamischen Recht umzustellen weiß: Die islamischen Ritualnormen vermögen dies scheinbar; ihre Materialität öffnet ein islamisches Recht, zugleich dürfen sie sich als Gründe in einem islamischen Recht umgestellt wissen – dass in einem modernen Recht, ein Recht durch die Materialität eines Nicht-Rechtlichen geöffnet und informiert wird, heißt jedoch gerade nicht, dass es zu einem Grund im Recht werden darf wie im Fall einer islamischen Ritualnorm (in den klassischen Konzeptionen steht sie zweifelsohne neben oder über einer Menschenwürde). Es drängen sich sodann zwei Fragen auf. a) Inwieweit vermag ein additiver Schutzzweck (den einer politischen Teilhabe u.ä.) das mehr als eintausendjährige Arkanum aus den überkommenen fünf islamischen Schutzzwecken (Religion, Leben, Vernunft, Nachkommenschaft und Eigentum) (…) insoweit zu durchschlagen, als er ein montones Zusammenspiel der menschlichen Grundbedürfnisse aus einer Maqāṣid (den monolithischen Schutzzwecken) und ihrer korrespondierenden Güterbefriedigung, der sogenannten Maṣālih, grundsätzlicher Neuverhandlung auszusetzen wüßte. b) Ließe man den Eintritt (…) zu, so verkapselt sich jene Frage mit einer weitergehenden Fragestellung: Kann ein hinzutretendes Recht auf unbedingte politische Teilhabe/echte Koalitionsfreiheit tatsächlich bloß neben einen Schutzzweck der Religion treten oder muss gleichsam letzterer insoweit heraustreten/zurücktreten, als ein (sichernder) Dienst an ihm durch ein politisches Recht nur hinreichend gewährleistet werden könnte. Die Frage ist, könnte ein totalitäres Selbstverständnis einer Universalreligion solches ertragen ? Ein zutiefst stagnativer Malus in einer jeden normativen Ordnung, der jede Mühewaltung neuer Autoritätsgründung (Demokratisierungsprozesse in islamischen Gesellschaften) wiederkehrend und nicht unmerklich wundersam in die Anerkennungsverhältnisse purifiziert islamischer Staatlichkeit zurückzuwerfen weiß, der ein Dilemmatorisches und eine Unpraktikabilität hybridisierter Staatsformen aus einer Maqāṣid und westlich-adaptiver Kostüme im arabisch-islamischen Lebensraum zu spiegeln weiß (Welche Qualität hat eine inkonsequente Glaubens- und Gewissensfreiheit in einer Marokkanischen Verfassung, vgl. oben, welcher Erfolgswert kommt Wahlen zu, bei der majoritäre Koalitionen nicht hegemonial sein dürfen, weil sie beispielhaft als "atheistische" Partei nicht zugelassen sind etc. ?) Versucht man all jenes in die anfängliche Behauptung des Exkurses zurückzuwerfen, so will ein islamisches Recht gegen sich selbst nur auf einem Auge blind sein. Die Suche nach neuer, ureigener islamischer Staatlichkeit jenseits existenter, erprobter Staatsmodelle (und aktueller islamischer Herrschaftsmodi) muss solche staatliche Gestaltungsmotoren supplementieren, insoweit addieren können, als sie nicht ausschließlich einen homogenen islamischen Menschen zu adressieren hätte; gelingt es nicht, so könnten auch prospektiv, gleichsam profan („proto-“)politisch prozessierende Menschen als auch politische Hegemonien von koalitionären Personenmehrheiten nicht funktionabel-konfliktaversiv, schlussendlich nicht hinlänglich befriedet islamischer Staatlichkeit unterfallen. Jede Form beherrschungskräftiger islamischer Staatlichkeit würde fortgesetzt in spektral-formative islamische Interessen, als diese unbedingt antagonistisch sind, zerfasern, die eine Addition von (agonalen) staatlichen Gestaltungsmotoren repetitiv verunmöglichen wird. Eine funktionable islamische Staatlichkeit jenseits beherrschungskräftiger Clan-Diktaturen, islamischer Monarchien mit infunktionabel hybridisiertem Verfassungsrecht u.a. bedarf unbedingt der Ermöglichung regelgeleiteten politischen Streits, der ohne Islam sein darf. Saijed Kutb erklärt (mit kontrastierender Motivation) die ununterbrochene normative Ordnung im Islam, die sich aus der klassischen Maqāṣid al‐Scharīʿa nähren soll; er weiß darum, dass eine purfiziert scharīʿatisierte, islamische Staatlichkeit nur schwerlich Kompatibilitäten mit einem Selbstverständnis demokratischer Bewegunsgwirklichkeit zu evozieren weiß; ihm ist bewusst, dass invasive, westlich-adaptive Importe moderner Rechtsstaatlichkeit schlichtweg Augenwischerei seien (viele heutige Autoren unterstellen nachgerade, dass es nur einem bewussten und vordergründigen Antlitz von Rechtsstaatlichkeit dienbar gemacht werden soll). Es sei schlussendlich darauf hingewiesen, dass der Schlüssel zu einem (Selbst-)Verständnis eines universalistisch strebenden, nicht minder totalitären Islams, der Letztbegründungszustand und institutionalisiertes Monitoring islamischer Lebensprinzipien sein will, nur über ein islamisches Recht erst ermöglicht werden könnte: Der Islam, als er auch multidimensionale und penibel programmierende Soziallehre sein will, organisiert sich gleichsam (schon) konstitutiv und konstitutionell in einer mäßig formativen Form des islamischen Rechts und innerhalb eines Arkanums monolithischer Rechtszwecke.
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I.
Eine ausschnitthafte Sequenz Habermas‘schen Denkens soll den Versuch eines uneigentlichen Blicks auf scheinbar unsichtbare, ethizistische Praktiken einer sich versicherheitlichenden Gesellschaft eröffnen, als eine Form depolitisierter Steuerungsmöglichkeit für die parlamentspolitische Programmierung eines, neuerlich multidimensionalen Sicherheitsbegriffs. Habermas sieht die politische Willensbildung in einer Demokratie als ein durch feste Verfahren Begrenztes verwirklicht. Eine „Herrschaft“ verfestigter Verfahren (die demokratisch-parlamentarische Gesetzesarbeit) will Habermas mit einer hinlänglich prominenten, aber letztlich gedankenexperimentellen Hypothetik verschaltet wissen: der Habermas‘schen impliziten Form des Konsenses oder der impliziten Zustimmung. Hierin wird die „zwangsläufige“ Zwangswirkung, die jedem Verfahren intern ist, wundersam zu etwas Zwanglosem. Kurz: Das Unterworfen-sein-müssen eines Normadressaten wird als etwas Zwangloses entwickelt. Es gilt demnach einer Form des Konsenses nachzugehen, der von Menschen nicht tatsächlich gefunden wird, sondern einem, dem sie ihre Zustimmung hätten geben können, wenn sie denn gefragt worden wären. Nach Habermas wären die Menschen vermittels gültiger Annahme hypothetischer Zustimmung förmlich befreit von Zwängen tatsächlicher Zustimmungsbedürfnisse; sie werden zu „moralisch entlasteten Einzelnen“.
Politisches Handeln und Denken, das sich unterhalb tatsächlicher parlamentspolitischer Programmierungsarbeit verortet, hieße demnach, abhängig zu sein von einem Gedankenexperiment potentiell kontrafaktischer Konsense. Habermas geht idealiter von einer tieferen natürlichen, also schon organisch-kommunikativen Kompetenz jedes Einzelnen aus – die Menschen orientieren sich stets entlang eines (Kant‘schen) kategorischen Imperativs; ihnen kann auch eine politische Ermöglichungsbedingung hypothetischer Zustimmung zugemutet werden, zeitigt solch Unbestimmbares doch messbare soziale Auswirkungen. Es läge dem also eine unhinterfragbare „Tiefenstruktur der pragmatischen Möglichkeiten von Rede“ und Sprache im Zwischen der Menschen zugrunde. Solcher, radikalst denkbare oder ausdifferenzierte Gleichheit einfordernde, politische Raum hingegen erscheint nicht herstellbar. Diese Habermas‘ sche Sequenz denkt sich sozusagen selbst als eine – schon leichtfüßig - unpathetische. Eigentümlich werden am Willensbildungs- oder Gesetzgebungsprozess Nicht-Beteiligte zu „vernünftigen“ Autoren von Gesetzen herleitbar: man (der Adressat) stimmt also einer Möglichkeit äußerlicher Sanktionen (potentiell gegen sich selbst) zu und unterwirft sich solcher Möglichkeit zugleich durch „Zustimmung“ eines rational herleitbaren Gebotes oder Verbotes. Jeder wird hierdurch (hypothetisch) zu einem „vernünftigen“ Autor eines Gesetzes, sogleich wird solches Gesetz auch als ein „vernünftiges“ Gesetz nobilitiert. Ein Rechtsstaat würde unter dieser Prämisse einzig ein Vehikel dafür sein, temporäre, situative und punktuelle Konsense in eine „Wirklichkeit“ zu überführen und unangreifbar zu machen. Was sollte man gegen ein solches Denken einwenden können ? Ein offensichtlicher Widerstand regt sich schon: Die politische, insoweite Herrschaft eingehegter, kontrafaktischer Konsense ist jedenfalls nur in ihrem wohl nicht denkbaren Zustand weitgehenden Fehlens von Dissens realisierbar. Die Ausschaltung oder Minimierung eines Dissensrisikos innerhalb solcher politischer (räumlicher) Ermöglichungsbedingung ist somit auch emblematisch für die Habermas‘sche Verschaltung. Freilich vermag er den Dissens als Ausdruck von Beschreibungswirklichkeit herauszurechnen; schließlich darf sich nur ein zugelassen „Vernünftiger“ im Habermas'schen Gedankenexperiment als partizipierender Urheber, dann kollektiver Programmierung begreifen. Zu verstehen ist er als unsichtbarer, ein die Moralität deligierender Pakt zwischen Normadressand und -adressat, als ein sozusagen repräsentatives und formal-pragmatisches Programmieren von Sollen und Sein-dürfen. Die Isolierung einer Programmierungsherrschaft oder -hoheit für einen Sicherheitsbegriff ist insoweit leicht herstellbar, als sie um eingegrenzte und zugelassene Vernunft oszilliert. Sie könnte sich mit Habermas' Erlaubnis, formal-repräsentativ, in einer bevollmächtigt-freien Arbeit von Präventions- und Sicherheitstechnik als Staatstechnik spiegeln.
Lutz Wingert verquickt indessen Gedanken zu einem bürgerschaftlichen „Wir“ in einem „unpathetischen (bewusst nicht hinreichenden) Ideal“. Er quittiert ein „unpathetisches Wir“ mit der Einsicht immerwährender, offener Fragen nach einer grundsätzlichen und unentschiedenen, politischen (Selbst-)Steuerungsfähigkeit und -mächtigkeit eines bürgerschaftlichen „Wir“. „(...) Die Politik in modernen Gesellschaften ist eine Politik der vorletzten Fragen, der Fragen freier Interessenartikulation und des fairen Interessenausgleichs. Wie kann sie das bleiben, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu untergraben und in eine fatale ‚organisierte Verantwortungslosigkeit‘ für ihre Folgen zu verfallen ?“ Wingert verknüpft diese Frage mit einer anderen, der er im Fortgang nachspürt: „Verfügt eine Gesellschaft über die Instanzen, die ihr eine überlegte Einwirkung auf ihre eigenen Entwicklungen ermöglichen ?“ Wingert verschaltet sich insoweit im weiteren Verlauf mit den Gedanken von Helmut Wilke („Wir“ ist Bestandteil eines Modells politischer Steuerung) und Russell Hardin (Koordinationsmacht des „Wir“) ! Er hegt den Gedanken eines unpathetischen, bürgerschaftlichen „Wir“ und versucht vermittels einer Herleitung seiner Beschaffenheit, solchen korrigierenden Instanzen auf die Spur zu kommen.
Die Bürgergesellschaft, die einem solchen „Wir“ aufruhen soll, versteht er als ein basales, sprich vertikales Bürger-Bürger-Verhältnis; sicherlich will er hierin einen infrastaatlichen Zugang verwirklicht wissen, vermag sich ein strikt bidirektional gedachtes Staatliches oder Ziviles nicht vollends gegenseitig zu neutralisieren. Ein Verhältnis, dem ein gerade-noch-verfestigter Organisationsgrad zuschreibbar scheint. Dessen abgewandte Seite spiegelt sich in einem – zuletzt ultimativen – individualistischen Moment, dem auch das Veto, die politische oder lebensweltliche Anfechtung eines „Wir“ zugestanden wird. Ein vielgestaltiges und verfassungsrechtlich ausdifferenziertes Freiheitsrecht ist ein verständiger Ausdruck dessen. Gerade die Freiheitsrechte als Jedermannsrechte öffnen und (ver-)schliessen zugleich eine „offene“ Bürgergesellschaft, bedeuten sie dem Individuum doch vermittels ihrer inkludierenden und exkludierenden, ihrer auch disponiblen (überhaupt zulässigen ?) unmittelbaren und mittelbaren (Dritt-)Wirkungen den Weg in das semantische und geltungstheoretische „Offene“ in einer Bürgergesellschaft. Sie erlauben konversive Relationen von zulässiger und unzulässiger Mitgliedschaft (unter Akzeptanz eines transkulturellen Verwendungsvorbehaltes von Menschenrechtssätzen) und Zugehörigkeit in einem „Wir“; sie schaffen hierdurch Möglichkeiten der Korrektur eines jeden jetztzeitigen „Wir“. Ein nicht unüblicher Binnenkontrast exklusiver Zugehörigkeit wird sicherlich durch ein (diesem sich potentiell auswachsenden und niemals ausschliessbaren) Wir/Sie-Gegensatz deutlich, der eben maßgeblich von einer Negation des Gegenübers, des Anderen angetrieben wird. Die exklusive Zugehörigkeit wird nurmehr als ein exklusives Kollektiv fassbar, das von einem einheitlichen, negatorischen Wir bestimmt wird, das sich in seiner Formgebung nicht selbst befähigen kann, die Fremdheit eines Anderen oder etwas grundsätzlich Anderem zu akzeptieren. Kann ein negativistisch ausdifferenziertes „Wir“ eingedenk solcher Tatsachen entwickelt werden ? Folgt man an anderer Stelle den Feststellungen der sogenannten Böckenförde-These, so lautet die Antwort Nein. Ein Nein, das sich zuvörderst in der Einsicht erschöpft, dass es unmöglich sei, die Elemente aus Autonomie, als Form kollektiver Selbstbestimmung und einer widerstreitenden, somit kollektiven Verantwortung, die über reine Beszugssysteme individueller Verantwortlichkeit hinausginge, miteinander zu verschleifen. Wingert will das „Wir“ allerdings nicht vorschnell dem Kult des Individuums geopfert wissen, er verteidigt die Möglichkeit eines zumindest negativistisch aufgestellten, mediatisierten Wir, das aus einem verbindenden Gefühl erwächst – somit einem internen Bezugspunkt geschuldet sei: Ein kulturell archiviertes, gesellschaftliches Hintergrundsummen gemeinsamer Konfliktgeschichte (Deutschland darf nie wieder antisemitische Biopolitik betreiben !), die in ihrer übereinstimmenden Interpretation, gehörigen Aufweis darüber gibt, dass „Jede oder Jeder kraft eines bloßen So-Seins“ unantastbar ist. Es fußt auf einem Wir-Setting, das durch sachliche, institutionelle, zeitliche und kognitive Aufwertung der von Wingert ausdifferenzierten, vertikalen Dimension bürgerschaftlichen (Selbst-)Verständnisses denkbar erscheint. Als eine Form öffentlicher Meinung, die öffentliche Entscheidungsräume diffundiert, sie unter den permanenten Eindruck von Lernfähigkeit und Sensibilisierung zur Neujustierung auffordert.
Ist das unpathetische (Selbst-)Verständnis Wingerts wirklich derart unkomplizierter Art ? Kontrastiert nicht ehedem eine laienhafte Alltagsbewertung diese entspannte Sichtweise, als jene allenfalls ein manchmal, hoffentlich unkompliziertes und nur situativ zusammenschaltbares „Wir“ hergestellt wissen will. Ein Unpathetisches kristallisiert sich in Wingerts Gedanken in der Tatsache, dass durch das Überformen der individuellen (somit gesellschaftlich atomisierten) Vorstellungen von Problem- und Konfliktbewältigung, schlussendlich doch funktionabel-formalisierte Interaktionsweisen oder die Herrschaft z.B. eines rechtlich-selbstverpflichtenden Verfahrens Programmierhoheiten übernehmen. Er gesteht einer massendemokratisch aufgestellten Bürgergesellschaft zu Recht nur mittelmäßige Leistungsfähigkeiten zu: als eine solche Gelenkstelle sieht er z.B. die entwicklungsfähige Sensibilisierung und (Selbst-)Optimierung innerhalb eines „Wir“ an, vermöge dessen, sogenannten Rationalitätsfallen im politischen Entscheidungsprozess effektiver nachgespürt werden könnten. Lutz Wingerts Schlusssätze sollen indessen nicht ungehört bleiben: „Aber Mittelmaß ist besser als Wahn. Und Mittelmaß auf dem Hochgrat komplizierter gesellschaftlicher Lagen ist nichts Mittelmäßiges. Ein unpathetisches Ideal eben.“
Zwei unpathetische Auffassungen, die einem „verflüssigten“ Programmieransatz politischer Willensbildung das Wort reden, die entweder ein eingeschränkt steuerungskräftiges, aber durchaus politisch invasives oder moralisch entlastetes, repräsentiertes und allenfalls punktuell suspendierendes, eingeschränktes Wir verwirklicht wissen wollen. Beide nehmen für sich in Anspruch, Ausgeschlossene (Nicht-Mitglieder), politisch mäßig Interessierte etc. inkludieren zu können, sei es durch die symbolische Kraft, der Typizität und der Inklusionswirkung eines bürgerschaftlichen Wir als selbstregulierendes Moment oder durch die couragierte Vorannahme, dass der gemeine Bürger sich gedankenexperimentell in eine transzendental hergeleitete, politische Ermöglichungsbedingung hineinverwoben wissen will. Fraglich ist vielmehr, ob der Ausgeschlossene nicht eher als Störfall eines unpathetischen oder moralisch vernünftigen „Wir“ erkannt wird.
Das, was Habermas und Wingert von sich und anderen denken, passiert, stellt sich tatsächlich ein, gerade im Zwischen der Menschen. Es gilt aber zu beachten, dass in diesem Zwischen auch anderes geschieht, nicht nur, dass jeder Beteiligte im Zwischen oft eine Rolle spielt, zu spielen hat, sondern, dass in einer Gruppe, innerhalb einer konkreteren Personenmehrheit (unterhalb eines „Wir“) ganz anderen Grundsätzen anheim gefallen wird. Ein „Wir“ wird niemals die Existenz und die Wirklichkeitsenklave eines Stammtisches verdrängen, auch wenn Stammtischkräfte veritabel in ein solches unpathetisches „Wir“ verstrickt sein sollten. Ein „Wir“ wird stets von einer zweiten, wahrscheinlich irreduziblen Identität ergriffen sein.
Ist im Anfang eines irgendwie konnotierten und irgendwo verwirklichten „Wir“ nicht stets ein Phantasma angelegt ? Der phantasmagorische Anspruch der Wähler an eine ominpotente, alles ordnende Sicherheitspolitik ist beispielgebend: die einen Ist-Zustand bewahrende, projektiv vorausahnende und gestaltende Sicherheitsfrage, sozusagen als eine moderne Ausprägung der zu jeder Zeit formulierten Suchbewegung nach einer je konstitutiven „sozialen Frage“ in der Gesellschaft. Das nachhaltigste, unerschütterlichste Phantasma ist sicherlich das Phänomen enttäuschter, nicht vollzogener Wahlversprechen. Obschon der Wähler wiederkehrend Gewissheit erlangt, dass Wahlversprechen niemals vollumfänglich eingelöst werden, dient das medial komprimierte Wahlversprechen als wesentliche Einschätzungsprärogative für sein Wahlverhalten; es erneuert sich wundersam mit jedem neuen Wahlkampf, unter dem Eindruck eines „vielleicht ja doch“ will sich der Wähler förmlich selbst täuschen. Das große Phantasma wiederkehrender Wahlen im Bedingungseintritt einer sozusagen technisch-mathematischen Entleerung (Wählerstimmen werden zur Zahl, Zahl wird zu politischem Willen) des nur temporär besetzten Ortes symbolischer Macht. Eben jenes - vermittels sich in bloße Urnengänge auflösendes - Verständnis demokratischer Partizipation des Einzelnen, das ja bekanntlich Lippmann (schon 1920) dem Bürger in den massendemokratisch verfassten Industriestaaten als zwar regelmäßiges aber auch einziges, aktivisches und politisches Handeln beimisst (Der Einzelne ist überfordert). Er erklärt die politische Öffentlichkeit zu einem Phantom und kontrastiert in einer öffentlich-medial ausgetragenen Debatte das Denken der Dewey‘schen „Experimentiergemeinschaft“, die einer kollektiven Problemlösungsstrategie und einem korrespondierend generiertes Wissen das Wort redet (Der Einzelne ist nur insoweit überfordert). Es geht hernach um die auch hier relevante Detektion von Potenz, Möglichkeit und Unmöglichkeit responsiven Einflusses eines „Wir“ auf z.B. parlamentspolitische Gesetzesarbeit.
II.
Wie gestaltet sich aber ein modernes, aktuell verschliffenes (wohl wieder erkennbares), gesellschaftliches „Panoptikum“ aus Sicherheits-politik und Sicherheitsforschung einerseits, und einer je unter- schiedlich sich versicherheitlichenden Gesellschaft andererseits ? Neuere Detektionsversuche lösungsbedürftiger Sicherheitsfragen versammeln sich aktuell unter dem Emblem einer die Wissenschaften sympathisch akzentuierenden „Sicherheitskultur“, die den Wandel nationaler und globaler Sicherheitsverständnisse und -architekturen einzufangen sucht. Dem umgreifenden, nach eigenem Verständnis ihrer Vertreter zulässigen, wohl auch semantischen Anspruch an ein Forschungsdesign aus verbindungsfähigen Begriffen der Sicherheit und Kultur, wird ein nicht übliches Maß an Synergieleistung zugetraut. Es ruht in erster Linie dem Fazit auf, dass aktuelle Sicherheitspraktiken, schon kraft ihres So-Seins, durch ihre eigene Art, Sicherheit zu denken, sichtbare und unsichtbare Unsicherheit nicht nur konstitutiv voraussetzt, sondern erst hierdurch zur Realität werden lässt. Denkt man hiernach (beispielhaft als Ausprägung eines multidimensionalen Sicherheitsverständnisses) Sicherheits- und Kriminalpolitik insoweit selbstreferentiell, so entstehen hieraus stets neue Formen von Unsicherheit, die es gilt, in den „sicherheitskulturellen“ Ansatz zu rücken. Dieses Paradox der Sicherheitsgenerierung setze sich denklogisch und konsequenzreich innerhalb dreier, stets reziproker Wandlungsprozesse in der Gesellschaft fest, die zuvörderst von Christopher Daase in einem Dreier-Schritt projektiert werden. Dieser umfasst 1. eine thematische Erweiterung des Sicherheitsbegriffs in Form eines weit verstandenen, multidimensionalen Sicherheitsverständnisses; 2. eine daraus resultierende Überforderung der jeweiligen Bereichspolitiken (unübersichtliches Gefüge an Sachmaterien) und 3. eine sekundär resultierende Legitimationskrise der gouvernementalen und intergouvernementalen Sicherheitsinstitute. „Der Wandel des Sicherheitsverständnisses verursacht einen gesellschaftlichen Wandel und umgekehrt. Dieser Wandel geht weit über eine sprachliche Veränderung durch Versicherheitlichung hinaus. Was sich verändert sind kulturelle Sichtweisen und Praktiken.“ Die Selbsterkenntnis Daases und anderer Vertreter einer so zugelassenen „Sicherheitskultur“ als Forschungsansatz lässt erkennen, dass die Beschreibungsebene „sozialer Tatbestände“ eben nicht nur mit den Zustands- und Bewegungswirklichkeiten empirisch-sozialtechnologischer Moderation eingefangen werden können, sondern maßgeblich kontingenten Brüchen ausgesetzt ist: „Sicherheitskultur“ erfahrbar machen, bedeutet demnach, einen konzertiert-interdisziplinären Fokus in seine je gegenseitigen Beziehungsmomente zu zerlegen. Unbeantwortet bleibt – förmlich bei jedem Vertreter dieser „Sicherheitskultur“ - die Frage, ob eine solche Überforderung der Politik nicht nur zwangsläufig, sondern auch in einer spezifischen Bewusstwerdung erforderlich – also schon wünschenswert ist, weil sie konstitutiv, für ganz andere Dinge wichtig ist. Nachfolgend sollen aber zunächst zwei naheliegende Autorenschaften in einer denkbaren Zusammenschaltung von Sicherheitspolitik und Sicherheitsforschung, wohlgemerkt in gehöriger Kürze vorgestellt werden: Zwei aktuelle Beschreibungsformen von Sicherheitspolitik, die eine „sicherheitskulturelle“ Bewegung einfängt, die nichts mehr mit den ursprünglichen Präventionsmomenten, den ersten Konzepten klassischer Gefahrenabwehr gemein hat; vielmehr einer Auffassung von Prävention 2.0 (Denninger) aufsitzt, die sich in den theoretischen Handlungsfeldern gesellschaftlicher Resilenz und Precaution sowie sogenannter (praktisch-theoretisch anschlussfähiger) Boundary Objects spiegelt.
Ein Beispiel für einen modernen „sicherheitskulturellen“ Ansatz ergibt sich aus dem noch unabgeschlossenen Versuch einer explorativen Herleitung von sicherheitspolitischen Entscheidungslogiken bei Kahl/Hegemann. Die Grundannahme der beiden Autoren wird vermittels unterschiedlicher Beobachtungen durch einen bloßen Zweifel befördert; der Erkenntnis, dass das Handlungsinstrumentarium denkbarer politischer Akteure sich lediglich innerhalb bestimmter, z.B. rechtlich selbstverpflichtender oder rechtsstaatlich zulässiger Bahnen kanalisiert, entlang derer bestimmte, zumeist aktuelle Bedrohungsszenarien in den Blick genommen werden, während andere Lösungen erst gar nicht mitgedacht werden, zu einem zulässigen Begleitwissen oder gar Bestandteil einer Eingriffsrechtsklaviatur werden können. Der augenmerklich interne Bezugspunkt dieser Grundannahme wird hierbei maßgeblich von einer Art überschießenden Innentendenz angetrieben: Diese erschöpft sich eben nicht in der mannigfach dargebotenen policy-orientierten Kritik einzelner Maßnahmen (Wie weit darf ein Rechtsstaat im Rahmen der Terrorismusbekämpfung gehen ?), sondern knüpft nurmehr an deren Entstehungs- und Auswahllogiken an, die einem wesentlich instabileren, unstrukturierteren sozialwissenschaftlichen Anspruch genügen dürfen.
Die erste Entscheidungslogik setzt insoweit eine vorrangig national ausgestaltete Sicherheitspolitik unter den Eindruck kulturbedingter Praxis, die weniger Tatsachenwahrheit; nicht bloßes Herstellen einer strategisch entwickelten und umgesetzten Agenda, sondern ein unbestimmbarer und ungesehener, also weicher Einflussfaktor sein soll. Peter Katzenstein gibt einen exemplifizierenden Aufweis darüber, warum in einer Gesellschaft ein gewisses Portfolio an Maßnahmen wiederkehrend einschlägig wird, um spezifischen Bedrohungen entgegentreten zu können. Er stellt fest, „dass entsprechende Faktoren eher auf der nationalen gesellschaftlichen als auf der internationalen Ebene wirken, primär nicht-materielle Einflüsse wie Normen, Selbstbilder, historische Erfahrungen oder habituelles Verhalten beinhalten und besonders geeignet sind, unterschiedliche Politiken unter ähnlichen Rahmenbedingungen zu erklären“ (abweichende Ansätze in anderen Staaten). Das sicherheitskulturelle Rubrum seiner wohl vergleichenden Studie zu den Politiken zur Terrorismusbekämpfung in Japan, Deutschland und den USA verbrieft sich indessen in einer Konsequenz aus „institutionalized norms and commonsense practice“: Der Autor ordnet das sicherheitspolitische Reaktionsschema der Gesetzgebung in Deutschland nach dem 11. September 2001 (Sicherheitspaket I und II) als ein die Hoch-Zeit der RAF adaptierendes, mitunter einzig repititierendes staatliches Konzipieren (als legalistisches und technologieintensives), das „in seiner Gesamtheit nicht bewusst gewählt wurde“ (Dieser Auffassung Katzenbergs kann auch widersprochen werden). Es geht hierin nicht um einen vermittels zugelassenen (oder strategischen) Auswahlfeldern ausstaffierten Diskursraum, sondern um eine von (auch) unreflektierten Faktoren ergriffene Praxis, die durch spezifische Traditionen der Bedrohungskonstruktion und -rekonstruktionen oder mediale Vorbilder ein Verständnis des Realen durchdringt (z.B. ein sich stets aktualisierender talionistischer Zugang zu einem landläufigen Verständnis von Bestrafung). Ein atomisiertes Gefüge aus Einschätzungsprärogativen führt insoweit zu einer Praxis des Entscheidens, die daraus resultiert, wie Wahrnehmungen und Vorstellungen in kulturelle und infrastaatliche Bezugssysteme eingebettet sind. Hieraus resultierende Ermöglichungsräume für ein Entscheiden sind existent, obschon sie in der gewöhnlichen Form von Determiniertheit und/oder Finitheit weder theoretisch noch methodisch nachweisbar sind (in vielen Fällen nicht einmal erklärt werden können). Sie koinzidieren schlichtweg schon durch ihr Erscheinen mit dem Umstand ihrer nicht näher erklärbaren Existenz – sie können also nicht Ergebnis von Erkenntnis sein, sie kommen nicht durch eine Passage zwischen Erkenntnissubjekt und -objekt zustande. Das, was im Zwischen der Menschen erschien, erscheint und sich reproduziert: Jenes vordefinierte oder prädispositionierte Gepräge, das jeder Personwerdung entgegen geschleudert wird – es ungesehen beeinflusst. Gegenteiliges würde indessen kalkulierte, von solcher Praxis nicht ergriffene, „reine“ Sicherheitstechnik als Staatstechnik abbilden.
Unterstellt man einen derart präformiert prozessierenden Raum kulturellen Aus- und Einprägens, so lässt ein aktuelles und vergangenes Handeln politischer Entscheidungsträger sicherlich anderes vermuten: Einen Primat bewusst strategischen und interessenpolitisch geleiteten Hinwegsetzens über die diversifizierten Erscheinungen einer unbewussten und invisibilisierten kulturellen Praxis. Das politische Kalkül bedingt rationaler Akteure als eine strategisch-kulturelle Leistung, in Form einer unbeeinflussten und potentiell agonalen Agenda unter vielen, die eben nicht von einer Sicherheitspolitik als bloße kulturelle Praxis eingeholt werden kann. Die zweite Entscheidungslogik eröffnet somit das Verständnis von Sicherheitspolitik, dort vorliegend die Terrorabwehr als Nutzung eines Möglichkeitsraumes. Ein solches exemplifizierender Ermöglichungsraum erscheint prototypisch in den sicherheitspolitischen Aushandlungsprozessen nationaler, inter- und supranationaler Gesetzgebung. „Hier geht es wohl um Auseinandersetzungen über die ‚richtige‘ Wahrnehmung von Bedrohung als auch die Durchsetzung der eigenen Maßnahmepräferenz. Bei der Frage, wie der Möglichkeitsraum beschaffen ist und warum, wie und wann Akteure bestimmte Präferenzen durchsetzen können, scheint uns im Kampf gegen den Terrorismus von besonderer Bedeutung zu sein, dass angesichts erheblichen Handlungsdrucks und der mit dem Terrorismusrisiko einhergehenden Ungewissheit besondere Gelegenheiten für eine sehr weite Definition der Agenda und ausgreifende Rechtfertigungsnarrative vorhanden sind.“ Die Gelegenheiten politischer Aspiration flirten mit den Ermöglichungsbedingungen der Krise einer terroristischen Bedrohung. Bisher allenfalls projektierte Eingriffsintensitäten zum Nachteil der Grundrechtsträger können indessen durch eine Zusammenschaltung mit anlassbezogenen, reaktiven und rechtsstaatlich unbedenklichen Sicherheitspolitiken förmlich ausprobiert werden – d.h., im Rahmen von konzertierten Maßnahmenbündel ungesehen, zumindest widerspruchsarm für einen Normadressaten plötzlich konsumabel werden (Inkohärenz eines Sicherheitspaketes). Es geht also um das partei- und interessengebundene Hell-Feld von Umdeutung und Relativierung, von Entgründung und Neugründung von sicherheitspolitischen Vorstellungen und den diesen aufruhenden Sicherheitstechniken. Ein Streit um Deutungshoheit, der in seinem Ende stets offen bleibt; ein sicherheitspolitischer Wandel muss indessen nicht denklogische Konsequenz einer bewussten Einmischung, einer nachvollziehbaren Durchdringung des Verständnisses politischer Realität sein (Eine invisbilisierte kulturelle Praxis kann sich also auch fortgesetzt gegenüber einem politischen Aktionismus behaupten !). ‚Bewährte‘, nicht immer zwingend beruflich geschulte, zumindest etablierte Sicherheitsingenieure in den hier denkbar auftretenden Ministerien, Behörden und in der Sicherheitsindustrie (Produkte zur biometrischen Erfassung als Beispiel) halten bekanntlich im Bedingungseintritt einer Bedrohung/Ausnahmesituation vielgestaltig institutionalisierte, legalistische oder wenigstens ‚legitime‘, zumeist technologieintensive Bewältigunsstrategien vorrätig. Es liegt der Gedanke des Garbage Can-Modells zugrunde: Einer Bevorratung mit uniformen Lösungsstrategien, die losgelöst von spezifischen, aktuellen Bedrohungsszenarien in einem schon präkognitiven Verständnis abrufbar gehalten werden (was sicherlich auch potentiell polizeistaatliche, extralegale als legitime Gedankenspiele einschließt: sogenannte vorschießende und nachgeschobene Legitimität als Substitut für Legalität). Der Einfluss einer bürokratisch-administrativen Logik auf situative Schemata sicherheitspolitischer Reaktion ist zweifellos stark. So kann Sicherheitspolitik als Einstellung und Mentalität, als Ausdruck von Erfahrungswissen oder bloßer Opportunität gelesen werden. Zumindest ist hierin detektierbares Organisationsverhalten anhand solcher nunmehr herleitbarer, irreduzibler „Pfadabhängigkeiten“ eindeutig identifizierbar: Es verdankt sich immer des Rückgriffs auf Schablonen und Stereotype der Vergangenheit.
Eine dritte Entscheidungslogik sicherheits-politischer Akteure heben die beiden Autoren auf eine zumindest symbolisch-negativistisch ausgestaltete Ebene politischer Programmierung, als einen Ort erratisch aufgeladener, infiniter Räume (siehe v.g. Absatz), die eine „Waffengleichheit“ der Symboliken von Terrorismus und kontrastierender Terrorismusbekämpfung aufzudecken suchen. Es geht um die Beachtung einer Zwangsläufigkeit denklogischer, wechselseitig abhängiger Symbolik, die auf beiden Seiten ein Auswahl- und Entscheidungshandeln beeinflusst. Kahl und Hegemann detektieren die politische Terrorismusbekämpfung also in ihrem Ausdruck symbolischen Handelns: „Es ist eine etablierte Annahme der politischen Kommunikationsforschung, dass politische Akteure zur Generierung öffentlicher Legitimation und Unterstützung für ihre Politik versuchen, die normativen Überzeugungen, Interpretationen und Erwartungen der Öffentlichkeit zu antizipieren und durch daran ausgerichtete symbolische Politik zu bedienen, ohne damit notwendigerweise auch die Lösung des Problems im Sinn zu haben.“ Das basale, kommunikationsstrategische Hintergrundrauschen terroristischer Akte wird vornehmlich von einem Spiel mit psychologischen Effekten ergriffen (Angst, latente Unsicherheiten in der Bevölkerung evozieren etc.). Nicht weniger bedeutsam sei es den beiden Autoren zufolge, dass Maßnahmen, die sich als Antwort auf diese besonderen „Notstände“ begreifen, selbst einer Kommunikation und insbesondere einer gehörigen Signalisierung durch symbolisches Handeln anheim fallen.
In einem Stakkato ausgedrückt, heißt solches:
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Die Antizipation von normativen Überzeugungen in der Gesellschaft; die zeitnahe Bereitstellung von Interpretationsfolien, die vermittels verschiedenster tauglicher Werkzeuge spezifisch lösungsbedürftige Erwartungshorizonte in der Gesellschaft spiegeln: Hierbei geht es im Grunde um die vorauseilende Bereitstellung von politischen und gesellschaftlichen Strategien in Form deskriptiver Vereinfachung, die a) für den Bürger nachvollziehbar sind und b) realistische Bewältigungsstrategien für ein bestimmtes Sicherheitsthema faktisch in Aussicht stellen (oder solche zumindest erfolgreich imaginieren können) und die überdies c) als interdisziplinäre Projektionen in stringente und anerkannte Induktionsmodelle eingebettet werden können.
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Werden solche außerordentliche terroristische Akte wissenschaftlich als sogenannte dread risks darstellbar, so unterteilen sich diese u.a. in einer Verschaltung zweier Einschätzungen sozialpsychologischer Analyse: Die empirische Gewissheit, dass a) Menschen dazu neigen, latente terroristische, als seltene Bedrohungsszenarien (dem Empfinden nach wie eine schwer kontrollierbare Naturkatastrophe) zu überzeichnen und solche mehr zu fürchten als die grundsätzliche, quantitativ wahrscheinlichere Risikobehaftung des Alltages und jene, die sich über einen längeren Zeitraum materialisiert; sowie b) die Erkenntnis, dass die Furcht vor Anschlägen zwar abnimmt, je länger diese zurückliegen, hierbei jedoch nicht der Beobachtung „beraubt“ würde, dass Menschen eingedenk übergroßer, rarefizierter terroristischer Eskalation ebenfalls dazu neigen, ihr Bedürfnis nach Sicherheit über das nach grundgesetzlichen Abwehrrechten gegenüber dem Staat zu stellen.
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Die programmatische Auffassung Symbolischen Handelns als Sprechakt und Handlung ! Es gilt hernach zwei auseinander brechende Bewegungswirklichkeiten zu beschreiben: a) die eines Signals sendungsbewusster Entschlossenheit politisch Verantwortlicher (Adressat wäre z.B. der Terrorist u.ä.) und b) die der (mitunter formelbehafteten) Symbolisierung von Führungsstärke im Kampf gegen solche Ausdrücke von Unsicherheit, verstanden als latente und gemeinsame Bedrohung für Staat und Gesellschaft (Adressat ist also die Bevölkerung). Die hiermit verbundenen Wirkungen duplizieren sich freilich in den anerkannten Feststellungen allgemeiner politischer Kommunikationsstrategie: Einer „breiten“ Delegitimierung des auch politisch, religiös und gesellschaftlich konnotierten Ansinnens von terroristischen Einzeltäter und Personenmehrheiten; der Angstreduktion und die Relativierung von Bedrohung in der Gesellschaft, die kommunikationsstrategisch vermittelte Aufrechterhaltung des „Normalen“ (die Alltagsbewältigung unter der Eindrücklichkeit einer Placebo-Politik - im Ausdruck von sichtbaren Maßnahmen der BOS).
Warum bedarf es einer Bewusstwerdung solcher „weicher“, mitunter ungesehener Einflussfaktoren ? In erster Linie ist es einer offensichtlichen Evidenz geschuldet: Die hohe Frequenz implementierter (vielgestaltiger) Sicherheitsgesetze, die häufig einen Eindruck eines dann zwangsläufig wissenschaftlich entkoppelten Reflex-Umbaus in der Sicherheitsarchitektur befördert, kann in ihrer Wirksamkeit nur unzureichend, insbesondere nicht immer methodisch eingefangen werden. Überdies wird in der Literatur einhellig festgestellt, dass derartige Evaluation, gar Meta-Evaluation nur wenig nachgefragt wird, was letztlich fundamental für jede Form legislativer Programmierung (oder Fortschreibung) sein sollte.
In einer Verkapselung von Vorläufigkeit ihrer Selbstverständnisse führen die Autoren folgendes aus: In praktischer und normativer Hinsicht ermöglicht das Wissen um die strukturellen Beschränkungen funktionalen Handelns gegenüber dem Risiko Terrorismus und die Eingriffstiefe vieler Maßnahmen keine direkten Empfehlungen für alternative Maßnahmen. Es legt aber eine größere Zurückhaltung politischer Entscheidungsträger, eine bewusste Reflektion letztlich ohnehin unvermeidbarer Restrisiken und die Befriedigung legitimer Sicherheitsbedürfnisse durch weniger intrusive Maßnahmen nahe. Alles in allem reden wir somit nicht einem Determinismus das Wort, der das Subjekt hinter Strukturen verschwinden lässt, sondern gehen davon aus, dass die Subjekte im Vollzug sozialer Praktiken diese Pfade kreativ fortführen und modifizieren können.
III.
Ein Beispiel für eine staatszentristische Kritik moderner Sicherheitspolitik findet sich in Günter Frankenbergs „Staatstechnik“, als eine sich an Staatstechniken messende und bewährende, politische Sicherheitstechnik. Eine so verstandene Sicherheitstechnik als eine Engführung von Staatstechnik organisiert sich zunächst durch die historisierte Verschleifung von drei (vier) Methoden (Ein Durchdringen vermittels der Hobbes‘schen, Locke‘schen, Machiavelli‘schen sowie kontrastierend der Foucault‘schen Methode), die je den Sicherheitsstaat unterschiedlich denken und schlichtweg „überlebt“ haben; noch heute nicht bloß situativ Pate stehen für ein aktualisiertes Sicherheitsdenken, sondern auch durch einen Zugang zu einer Staatstechnik reifizierbar werden, der sich neben anderen Verständnissen beispielhaft als „Einstellung“ oder „Mentalität“ spiegeln ließe.
Die Untersuchung Frankenbergs arbeitet demnach mit einer letztlich hermetisch isolierten Vorbedingung „Staat“. Diese staatstheoretische Zentrierung Frankenbergs bedarf des Ausgangspunktes „Staat“, nicht denklogisch des Umstandes eines gleichberechtigten Gesellschaftlichen, eines zivilen, zumindest infrastaatlichen Verständnisses von Staat. Jenes Vorverständnis bringt demgemäß eine Verlegenheit des Autors zum Ausdruck: seine Herleitung scheint einem gesellschaftlichen Nullum zu entwachsen, er verwebt die vier Methoden der Staatstechnik aus einem gesellschaftlichen Nichts zu einem relativ freischwebenden, zwangsläufig unvollständigen Zustand von „Staat“ (Trotz einiger „Ausflüge“ in eine gesamtheitliche, gesellschaftlich verflüssigte Art und Weise politischer Machtausübung fällt der Autor wieder zurück in ein staatszentristisches Denken). Zum Gesichtspunkt „Staat“ bei Frankenberg: Es ruht in einer Entwicklungslinie, die das staatstheoretische Selbstverständnis seit dem Deutschen Kaiserreich nachzeichnet (die Allgemeine Staatslehre verrechtlicht; sie stirbt sozusagen als Disziplin) und die sich unter dem Eindruck einer bewussten staatstheoretischen Abstinenz in der Bundesrepublik, das höchst ausdifferenzierte Verständnis von Staat zu Grunde legen wissen will (die Staatslehre ist jetzt nur noch bloße juristische Disziplin). Letzteres illustriert insoweit eine „staatstheoretische“ Neugründung, als durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes ein Staatsbild aus Staatszielen und Verfassungswerten verwandelt, transformiert, also juristisch vollends domestiziert wird. Der moderne Staat moderiert indessen Gesellschaftliches, vermag solches einzuhegen und zu steuern. Ein solches Denken verweist ein Politisches in die zweite Reihe: der moderne Staat geht dem Politischen voraus und konstituiert sich in seiner erschöpfenden Sprache des Rechts - unterschieden in seinen denkbaren Verschaltungen von Rechtserzeugung (demokratisches oder autoritäres Programmieren) und -anwendung (rechtsstaatlicher oder ausnahmerechtlicher Vollzug). Ein Politisches ist hiernach ein Handlungs- und Interventionsfeld von Staatlichkeit. Nicht zuletzt ist das Ansinnen des Autors dadurch nicht weniger honorabel ! Er stellt sich selbst eine „doppelte Aufgabe, nämlich einerseits die Ambivalenzen von Rechtsstaatlichkeit auszuleuchten und zugleich die demokratisch-rechtsstaatliche Legalität (unüblich praxisbezogener als bei anderen Autoren) gegen ausnahmerechtliche Denkfiguren und Praktiken zu verteidigen“. Frankenberg liefert trotzdem brauchbare Hinweise über eine mögliche – hier relevante – Autorenschaft sicherheitspolitischen Konzipierens und Programmierens, das nicht einzig Produkt von Staatlichkeit sein soll.
Über den Aufweis eines „Wie“ und „Wer“ der Programmierung eines übergreifenden Sicherheitsbegriffs stellt der Autor das jüngste legislative Reaktionsschema unter den Eindruck eines von ihm dargelegten parasitären Verhältnisses von rechtsstaatlicher (normaler) Ordnung und normalisierter Ausnahmesituationen. Will man diese vordergründig inkommensurable Verbindung in ein überschaubares Bild versetzen, so ließe es sich folgendermaßen zusammenfassen: Ein ins „Staatliche“ zurückgeworfenes parasitäres Konzipieren und Programmieren, das in der Schnittmenge zwischen einer rechtsstaatlichen Staatstechnik als Inbegriff der Normalität und Normativität im Staat-Bürger-Verhältnis (1) und einer wiederkehrenden (dynamischen und beschleunigten) Konstitutionalisierung des Notstandes/Ausnahmezustandes (2) stattfindet. Die beiden zugelassenen Teilmengen dieser hybridisierten Staatstechnik werden indessen von einer erläuternden Arbeitsfolie überdeckt, vermöge deren die Zuordnung aktueller Sicherheitstechniken zu klassischen Staatstechniken her- und vorgestellt wird (Das je aktualisierte Denken von Sicherheit nach der Hobbes‘schen Methode etc.). Letzteres organisiert sich zudem über ein additives, drittes Kriterium, das je von einem alternierenden Verständnis oder den basalen Formen von Machtausübung eingefangen wird: Von der Vorstellung absoluter Machtausübung, als purifizierte Regierungstechnologie wie im Fall von Machiavelli, der Modi kontinuierlicher Machtausübung in den unterschiedlichen Bildern des Leviathans bei Hobbes und Locke sowie einer modernen Auffassung diskontinuierlicher Machtausübung in Form von Wissensapparate und -dispositive in der Massendemokratie bei Foucault. Der Aufnahmepunkt Foucaults bedeutet heutigen Sicherheitstechnikern oder -ingenieuren insoweit schon den Weg, als er die bewusste, schon freizügig anmutende Amalgamierung einer Hobbes‘schen und Locke‘schen Methode widerspruchsarm für etabliert hält. Frankenberg verquickt zwar eine Methode nach Hobbes und Locke zu einer regierungstechnologischen Methode Foucault, dieser legt aber in seinem Verständnis keineswegs etwas „Staatszentristisches“ zugrunde; gerade der Staat ist nicht Erster Spieler diskontinuierlicher Machtausübung bei Foucault. Foucaults Analyse verflüssigter Disziplinarkontrolle in der Massendemokratie bezieht sich auf einen Machttypus, den er je projektbezogen genealogisch herleitet und insbesondere zeitdiagnostisch mit einer je alternierenden Begrifflichkeit erklärt wissen will: Sicherheit sei hiernach Dispositiv der Macht, sei Mechanismus der Macht, sei Technik der Macht, sei gleichsam einem Regieren intern, schlussendlich geht sie in seinem Verständnis von Gouvernementalität auf – den „Staat“ versteht er als einen beweglichen Effekt von mehreren Gouvernementalitäten. Eine aktuelle, auch evidente legislatorische Bewegungswirklichkeit spiegelt sich mithin - in einem transponierenden Verständnis – in der Forderung nach einem regulatorischen „Mehr an Hobbes“ und einer dann illiberalen Valenz eines „Weniger an Locke“. Jedoch wäre dieses Majoritär-Werden einer so von Frankenberg detektierten Hobbes‘schen Gelenkstelle eher eine solche, die sich durch eine Luhmann‘sche Intervention erweitert wissen würde: „Die Souveränität beginnt mit der Selbstexemtion des Souveräns (des Staates)“. Er wird nicht Vertragspartner (wie bei Hobbes) ! Insoweit erhellt sich auch das Foucault‘sche Verständnis des Staates (der Sicherheit garantierende Souverän bei Hobbes) als bloßen Einheitseffekt eines wechselseitigen Autorisierens „verschreckter Untertanen“.
Wie programmiert sich Sicherheit in der o.a. Schnittmenge ? Zuallererst versucht Frankenberg durch die Darstellung von zwei sozusagen anthropozentrischen Konstanten, das Hintergrundsummen einer modern und dynamisch verschliffenen Tendenz legislatorischer Versicherheitlichung zu vertexten: 1. Vermittels eines Spiels mit der Vielgestaltigkeit des Phänomens „Angst“ und 2. der darauf aufruhenden Verschiebung von Mindestanforderungen an ein Verständnis von „Sicherheit“, sprich eines nachweisbaren Übergangs von einem kognitiven zu einem existenziellen Sicherheitsbedürfnis.
Zu 1. Die schier ausufernden „Angstkapitel“ von Frankenberg vermessen penibel einen denkbaren gesellschaftlichen „Angstraum“, in dem Ängste als Kategorien politisch-rechtlicher Analyse dienbar gemacht werden. Beispielgebend sind insoweit seine Darstellungen von sozusagen „gesetzlich“ befohlenen, korrespondierenden kategorialen Motoren, die eigentlich bidirektionale sein sollten: Angstrecht und Metalegalität – Angstrecht und Metagrundrechte – Metagrundrechte und darauf aufruhende neue Staatstechnik: Er konzipiert ein gesellschaftliches System neurotischer Angst, das sich als Drohsystem „struktureller Angst“ engführen lässt. „Aus einer diffusen, auf indirekte Verhaltenssteuerung angelegten Bedrohung können folgenreiche Verhaltensänderungen resultieren: So können nicht greifbare Bedrohungen Einschüchterungsgefühle und Angstlähmung nach sich ziehen, die sich in der Überanpassung an das vermeintlich Gebotene und dem Bemühen manifestieren, um keinen Preis aufzufallen.“ Das konzeptionelle Zwischenziel Frankenbergs ist es freilich, Angstreaktionen herauszuarbeiten, die dem Effekt einer Infantilisierung des Normadressaten, des Staatsbürgers das Wort reden. Insbesondere eröffnet er hierbei ein je individualisierbares Assoziationsfeld, das potentiell von einer veritablen gesellschaftlichen Aphasie, mit der Folge eines Verzichts originärer Rechtsbetätigung oder einem grundsätzlichen politischen Quietismus besetzt werden kann: Der „autoritäre Charakter“ (Adorno) schreibt schlussendlich keine Individualverfassungsbeschwerde, er lehnt sich an Autoritäten an. Dennoch vermögen gerade ubiquitäre Bedrohungen wie die terroristischer Eskalation (die in ihrer sicherlich stets neurotischen Einfärbung nicht unerheblich von Realängsten erfasst wird) auch das Gegenteil vielgestaltiger Angstlähmung zu evozieren ! Es sind Formen von Aktionismus, die a) rechtlich-gesellschaftlich eingehegt sind, zumindest als eine „Flucht nach vorne“ zulässig erscheinen; denen aber b) auch ihrerseits Ausdrücke politischer und rechtlicher Entgrenzung intern sein können, die in einer stets denkbaren Projektion und Dynamik durchaus terroristische Konturen herausbilden kann (An diesem Punkt denkt Frankenberg im Grunde modern, hantologisch, letztlich postfundamental).
Frankenberg stellt seinem Leser solche „Unfreiheit von Angst“ im Rechtsstaat kurzum als einen maßgeblichen Freelancer der Versicherheitlichung eines (dann kupierten) Rechtsstaates vor. Die Camouflage manipulativen Handelns, das programmierende Handeln und Intervenieren zu tarnen, ohne das rechtsstaatliche Mandat des Staates gefährden zu müssen, ist hernach Nebenprozess eines zeitgenössischen legislatorischen Umsetzungshandelns. Es schreibt sich insoweit keine konstitutive Frage der Rechtfertigung oder der rechtlichen Grundlagen, sondern die Verschleierung einer Manipulation der Ängste und Feindbilder - je in ihrer spezifischen, auch erratischen Aufladung und symbolischen Mystifikation – in ein neues, sozusagen sanktioniert rechtswidriges politisches Register ein: Nur solches vermag rechtliche Tätigkeitsgrenzen und Eingriffsschwellen ungesehen aufzuheben. Es geht um die Art und Weise eines „Verkaufens“ uneigentlich rechtsstaatlich konsumabler Sicherheit wider einer denkbaren infrastaatlichen Empörungskultur. Ein Einsprengsel: solches Konjunkturprogramm „Sicherheit“ könnte zum Beispiel durch ein Vermittlungsprogramm (v)erkauft werden: Was ermöglicht in Zukunft das Institut eines Handelns pro magistratu durch Jedermann – die Festnahme durch Jedermann ? Warum bedarf es dann noch einer hochgradig ausdifferenzierten Eingriffsrechtsklaviatur ? Angstrecht und Metalegalität wird zukünftig nicht mehr hinreichend sein, um „weit vorgelagertes“ Eingreifen des Staates gegenüber den Bürgern „verkaufen“ zu können; mitunter sollte die Re-Formalisierung eines historisch verworfenen Staatshaftungsrechts sondiert werden !
Zu 2. Von einer gesicherten Unsicherheit (im Rechtsstaat) zu einer unsicheren Sicherheit (im Präventions- und Sicherheitsstaat); von kognitiver zu existenzieller Sicherheit ! Solcher schleichender Übergang wird positiv konnotiert: Mit dem Mittel der „Verharmlosung“, so diagnostiziert Frankenberg. Wie versteht man dieses als Leser ? Ein existentielles Sicherheitsverständnis wird sozusagen neu designt, neu entwickelt, in einer invisibilisierten Bewusstwerdung für das Bewusstsein konsumabel, sozusagen durch Normalisierung zum Standard erhoben. Es soll sich als Qualifizierung einer kognitiven Sicherheit verstehen, sich unter Ausblendung/Verdeckung eines tatsächlichen qualitativen Stufenverhältnisses als positive Transformation selbst „verkaufen“. Sprich, es findet keine proportionale Ko-Evolution zwischen einer dynamisch-hyperpräventiven Sicherheitsgesetzesarchitektur und einer korrespondierenden kontrollarchitektonischen Anpassung der Rechtsmittelapparate statt, sondern nur eine solche von Gesetzesarchitektur und einem neuen Verständnis von Sicherheit (existentielle Sicherheit); letzteres Verhältnis bedarf nicht der Änderungen innerhalb zugestandener originärer Rechtsbetätigung durch das Individuum. Grundvoraussetzung hierfür ist, dass Freiheit und Sicherheit (plötzlich) nunmehr unter den Eindruck einer normativen Gleichrangigkeit gestellt werden, vermittels derer ein dies umsetzendes „Bekämpfungsrecht“ geschaffen werden kann (Es ist sozusagen unabdingbares politisches Fundament). Das ist wieder reines Foucault‘sches Denken: „In diesem vordergründigen Spiel des Spannungsverhältnisses von Freiheit und Zwang (Sicherheit) werden stillschweigend Regeln gesetzt, die den gouvernementalisierten Staat erst ermöglichen“ – das wäre eine an der Machtanalytik Foucaults geschulte Perspektive ! Eine solche normative Gleichrangigkeit von Freiheit und Sicherheit suggeriert eine wechselseitige Abwägungsfähigkeit zweier, dann gleichrangig zu denkenden Prinzipien rechtsstaatlicher Normalität, die einer vergleichbaren Optimierungslogik folgen würden (also eine Form praktischer Konkordanz widerstreitender, kollidierender Grundrechte, die auch den Staat zum Träger des die Freiheit kontrastierenden Grundrechts auf Sicherheit werden ließe). Die Implementierung, die infrastaatliche „Salonfähigkeit“ eines Bekämpfungsrechts bedarf insoweit eines übergreifenden, dann persuasiven Rechtfertigungsnarrativs, das sich jüngst in eben dieser Etablierung eines „Grundrechts auf Sicherheit“ spiegeln soll (Die Darstellung der unsäglichen, ausufernden Explosion von Literatur zu diesem Thema soll an dieser Stelle nicht geleistet werden.). Dieser rhetorische, rechtsstaatliche Begriffe semantisch verzerrende Spurwechsel von der „rechtsstaatlichen Grammatik der Freiheit zur ausnahmerechtlichen Logik der (stets maßlosen) Sicherheit“, die genannte Aufwertung des kognitiven zu einem existentiellen Sicherheitsverständnisses wird nach Frankenberg insbesondere dadurch maskiert, dass eine formal tabuisierte Folterhandlung hinter semantisch-verwässernden Begrifflichkeiten scheinbar eskamotiert würde (beispielhaft büßt die sogenannte neu gedachte „selbst verschuldete Rettungsbefragung“ als Präventivfolter ihre tatsächliche Kontur einer physisch oder psychisch vermittelten Form von Gewalt nicht ein, es bleibt das Emblem mittelalterlichen, inquisitorischen, sprich das Signum peinlichen Befragens erhalten). Dem Selbstverständnis dieser entworfenen Quasi-Ethik zufolge, findet demnach gar kein Spurwechsel statt – es gehe dieser auch fortgesetzt um die Aushandlung eines bürgerschaftlichen Anspruchs kognitiver Sicherheit. Es firmiert insoweit als eine Form zulässiger, rechtsstaatlicher Suchbewegung, die neue Referenzpunkte eines Sicherheitsdenkens entwickelt, zumindest originäre wie eine inhaltliche Bestimmtheit von Gesetzeswortlauten, einen effektiven Rechtsschutz oder ein zeitliches und sachliches Übermaßgebot etc. situativ suspendieren darf. Problematischer noch ! Sie dienen nurmehr für eine Neugründung, für eine das Rechtsstaatliche zwecktauglich adaptierende Arbeitsfolie, die eine (kognitive) Sicherheit aus dem Dienst an der Freiheit entlassen würde.
Aus zurückliegenden Ereignissen und Veränderungen der Sicherheitsarchitektur (sogenannte erste Krise des Rechtsstaats in der Bundesrepublik) extrahiert Frankenberg eine sich scheinbar repititierende und stets steuermächtige administrative und legislative Logik, die einem Ereignis aufruht, das die Vorstellung zulässig funktionell verschränkter Staatsgewalten seinerseits radikalisiert und nochmals übersteigt: eine situative Durchbrechung der Gewaltenteilung, die Gewaltenverschaltung ist; so auch ein Durchdringen zu einem wechselseitig tabuisierten, unbedingten Kernbereich der Gewalt (als ultimatives die Freiheit sicherndes Konstituens einer demokratischen Verfassung). Eine verfassungsrechtlich zugestandene Gewaltenverschränkung muss eingedenk solcher Feststellung nicht als fortgesetzt funktionell unterschiedener, sondern als funktionell-gewalteneinigender Sicherheitsverbund gelesen werden. Die Nützlichkeit der Begründungsfigur Sicherheit würde hiernach nicht länger ein die Gewalten zulässig verbindendes Scharnier sein, sondern ein unreflektiertes invasives Interagieren mit dem maßnahmebezogenen Tauschgut Legalität zwischen den einzelnen Staatsgewalten – und sozusagen durch sie hindurch – ermöglichen. Frankenberg nutzt politische, rechtliche und gesellschaftliche Markierungspunkte für eine historisierende und zugleich aktualisierende Verschleifung einer wiederkehrenden und sich normalisierenden Sprossung von rechtsstaatlich bedenklichen Ereignissen in der Ordnung, vermöge deren ein wechselseitiges Durchdringen der Staatsgewalten aufgenommen werden kann. Im Stakkato: 1. Das Parteienprivileg. Der Umgang mit dem begrifflichen und geltungstheoretischen „Offenen“ einer sogenannten verfassungsfeindlichen Bestrebung einer politischen Partei durch möglich denkbare Spieler in Politik und Gesellschaft kontrastiert die verfassungsrechtlich zugewiesene, ausschließliche Feststellungskompetenz eines Bundesverfassungsgerichts (insbesondere die Frage einer hinreichend aggressiv-kämpferischen Ausrichtung einer Partei). 2. Das Nachschieben von Legalität, die der Autor anhand des sogenannten Radikalenerlasses, dem eingriffsrechtslose (gesinnungsstrafrechtliche) Ermittlungsmaßnahmen intern waren, verdeutlicht. 3. Das Vorschießen von Legalität; einem Verständnis antizipatorischer Gesetzesvorsorge, die sich einem aktualisierenden Verhältnis gesellschaftlicher, rechtsstaatlicher und gesetzgeberischer Moderation entziehe. 4. Der Vorstellung eines Jakobs‘schen Feindstrafrechts, das neuerlich zu einem gesamtheitlichen Feindrecht aufgespreizt und als ein Bekämpfungsrecht – u.a. unter dem Signum hinlänglich diskutierter Flirts zeitgenössischer Rechtswissenschaftler mit der Ausnahme - ausdifferenziert wird.
Frankenberg spannt in seiner Untersuchung sozusagen ein Dreieck prominenter Zitation (klassische Autorenschaft zum Ausnahmedenken insbesondere bei Schmitt und Agamben) über seine vorleistenden Diagnosen, um ein zunehmend wahrnehmbares paradigmatisches Duell von normalisierter Ausnahme und rechtsstaatlicher Ordnung vorstellen zu können, das nicht nur schon länger in den westlichen Massendemokratien in und neben der Ordnung virulent ist, sondern dem eigentümlich intern ist, dass es sich nicht zu einem tatsächlichen Duell auswachsen darf. Das bestehende Paradigma wird nur scheinbar von einem paradoxerweise konkurrierenden und korrigierenden Paradigma (die purifizierte rechtsstaatliche Formalität soll ja eigentlich der Inbegriff von Normalität und Normativität im Staat-Bürger-Verhältnis sein) ergriffen. Der insoweit als „kupiert“ oder „enthauptet“ konnotierte Rechtsstaat darf sich widerspruchsarm in zulässige Erscheinungsformen, als Formen des Präventiv- oder Sicherheitsstaates umstellen lassen. Eine Umstellung, die fortgesetzt in herkömmlicher formeller und materieller Äußerlichkeit in Gesetzesform auftreten muss aber bestenfalls als ein Residual von Rechtsstaatlichkeit, als kostümierte oder tradierte Rechtsstaatlichkeit neben und in einer zulässigen Eingriffsrechtsklaviatur figurieren darf und soll.
Inwieweit überschneiden sich Frankenbergs Annahmen mit einer „Copenhagen School“, der Umschaltung von einer staatszentrierten auf eine operative, sozusagen ko-konstruktivistische Herangehensweise durch den Securitization-Ansatz, der als eine epistemisch-theoretische Wende vorgebracht wird, die definitorisch zugängliche, atomisierte Sicherheitsbegriffe, subsumierbare Lebenssachverhalte, sprich vorleistende Begriffsarbeiten durch ein spezifisches Verständnis von Sprechakten ersetzt wissen möchte, die hiernach einzig bestimmten Minimalkriterien genügen sollen: Die Verwendung von Sicherheitsbegriffen sei zu unspezifisch und mannigfaltig, als dass sie die Transformation sozialer Tatbestände in Sicherheitsangelegenheiten zu leisten vermöge. Dazu seien nur Sprechakte imstande, welche die folgende rhetorische Struktur aufweisen: In ihnen wird etwas als existentielle Bedrohung figuriert, die ein zu schützendes Referenzobjekt in seinem Überleben betrifft, so dass die Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen gerechtfertigt erscheint. Frankenberg scheint zumindest oft einem diesen Ansatz ähnelnden, kreativen Mechanismus zu nutzen, obschon er innerhalb eines fortgesetzt staatszentrierten Denkens verbleiben möchte.
Dem Autor gelingt in seiner nur wenig beachteten Untersuchung die gründliche Beschreibung einer juridisch konzipierten und veritabel verteidigten Außengrenze „Rechtsstaat“ (die eine Weiterentwicklung eines Hobbes‘schen Dualismus totaler An- oder Awesenheit von Sicherheit spiegeln soll, die ein „Mehr“ an Locke verteidigt wissen möchte) und einer diese intern entgrenzende Radikalisierung von Nützlichkeit der Begründungsfigur Sicherheit in der Moderne als Ist-Zustand, der jeden Normadressat vom Kriterium der Legitimität zu befreien scheint, ein Gefühl des Unsteten und Unabgeschlossenen erzeugt. Frankenberg arbeitet – wie viele andere Autoren auch – mit dem landläufigen Verständnis eines Dilemmas des liberalen Rechtsstaats in seinem Umgang mit multidimensionaler Unsicherheit als Ausnahme in und neben der Ordnung, der im wesentlichen einer konzeptionsbedingten Freilegung illiberaler Virtualität innerhalb des liberalen Denkansatzes – z.B. im Angesicht terroristischer Eskalation - geschuldet ist. Wie sollte man sich dieses so beschriebene Dilemma vereinfacht vorstellen ? Zunächst ist die Unsicherheit im liberalen Kontext lohnenswert oder gewünscht anwesend (Kein Profit ohne Risiko !). Die Schwierigkeit des liberalen Systems besteht darin, Mittel und zulässige Verfahren zu finden, „erwünschte“ Unsicherheit von „unerwünschter“ Unsicherheit (für beides kann man auch den Begriff Freiheitsgebrauch einsetzen) zu scheiden, ohne die Zirkulation grundsätzlicher (lebensnotwendiger) Unsicherheit zu gefährden. Gerade eine solche Überwindungstechnik ist dem liberalen Staat nicht fremd, sei es in Form einer so von Frankenberg verdrillten Foucault‘schen Methode oder vermittels der Foucault‘schen Vorstellung eines gouvernementalisierten Staates, solches unter der Beachtung einer Rhetorik der Securitization als Einsätze illiberaler Sicherheitsdispositive etc. ! Der um ein rechtsstaatliches Register konstitutiv erweiterte liberale Staat wird nur an seiner Oberfläche von der „Schwäche“ formaler Rechtsstaatlichkeit ergriffen und nur die Apologeten formaler Rechtsstaatstheorie unterspülen fortgesetzt und honorabel diese Oberfläche in vielfach initiierten Reformulierungsversuchen von legislatorischer Formalität, sprich der Forderung strikter demokratisch legitimierter Gesetzesprogrammierung. Frankenberg verwickelt dieses juridische Vehikel als ein modernes Sicherheitsdispositiv exemplarisch in eine Verteidigungsrede demokratischer Legitimität, die sich außerhalb einer Tendenz materialer Rechtsstaatlichkeit, einer die Ausnahme neben der Ordnung zulassenden Legierung von Rechtsstaat und Demokratie (die noch keinem Denker gelungen ist) verortet. Die Schnittmenge dieser Kritiken organisiert sich zuallererst gegen einen ersatzlegislatorischen, einen objektiv-rechtlich entkleideten Hebel hypertropher Justizstaatlichkeit, der insoweit eine unzulässige Materialität des Rechtsstaates aus-und eingeprägt, als der originären Rechtssetzungskompetenz eine substantiell und institutionell scheinbar höherstufige Legitimität vorgeschaltet wird, die vorrangig dem Bundesverfassungsgericht eine demokratiefeindlich-akzentuierte Judikatur testieren soll (z.B. in Form subjektiv verrechtlichter Grundrechtsfunktionen oder der flüssige Aggregatzustand der „objektiven Wertordnung“ sowie die „mittelbare Drittwirkung der Grundrechte“ - die aber auch als Korrektiv einer repräsentationsfeindlichen Arbeit der Legislativen gelesen werden könnte). Der liberale als gouvernementalisierter Staat, im Modus eines Präventions- oder Sicherheitsstaates hält konzeptionsbedingt interventionistische Überwindungstechniken wie zuvor kurz angerissene Hypertrophie bereit, mit denen er seine eigene, konstitutive Interventionsaktivität stets reproduzieren muss – der liberale Staat ist wundersam tauglich für eine Gouvernementalisierung oder er ermöglicht ungeniert eine Mechanik von in der Gesellschaft eingelassenen Präventionstechniken, die eine gesehen-ungesehene Schwelle operationalisieren, an der ein liberales Regieren in den illiberalen Modus wechseln darf.
Die mannigfaltigen Erklärungsversuche eines Politischen neben einer formal-institutionalisierten Politik bedeuten einem eigenlogisch operierenden, prozessierenden Lebensbereich den Weg, der viele Spieler kennen, somit jegliche Regierungskalkulation ausschließen sollte – dieses grundlegende Theorien übergreifende Moment wird hier in sein Gegenteiliges, in erster Linie in ein rein staatliches Konzipieren zurückgeworfen. Es wird ein epistemisches Terrain eines neuen Politischen als Politik von Staatlichkeit eröffnet, innerhalb dessen ein gesellschaftlich-mobilisierungsoffener Einheitseffekt mit hoher gesetzlicher Implementierungsdynamik zur Entfaltung geraten darf. Was Foucault oder die Vertreter der Securitization als einen gesamtheitlichen Effekt betrachten, verquickt Frankenberg mit einer handlungsanweisenden Einstellung und Mentalität reinkultürlicher Sicherheitstechnik durch wenige Sicherheitsingenieure, die jedoch alles andere als ein bloßer beweglicher Einheitseffekt ist, sondern hartes, den Effekt versionisierendes, politisches Kalkül. Frankenberg vollzieht in der Tat eine selbstbewusste Zuschreibung von Verantwortlichkeit; er verwickelt die Programmier-/Handlungshoheit in Sicherheitsangelegenheiten mit bestimmten, identifizierbaren Akteuren der Sicherheitstechnik, die sich der Leser mit zunehmender Lektüre als „übersozialisierte“ Wesen vorzustellen hat. Die „Sicherheitstechnik als Staatstechnik“ befördert eingedenk aktueller politischer und gesellschaftlicher Verschleifung und seiner nachweislichen erratischen Auf- und Überladung einen Eindruck, mehr als eine Arbeitshypothese, vielleicht schon Glaubensfrage sein zu dürfen.
Ein Zwischenschritt (oder der Grundgedanke): Mit Habermas und Wingert wurden zwei Verständnisse eines potentiell politisch programmierenden „Wir“ kurz angerissen. Mit den Ausführungen zur explorativen Herleitung von Entscheidungs- und Auswahllogiken bei Kahl/Hegemann wurde ein „weicher“ sicherheitspolitischer Steuerungs- respektive Einflussfaktor (oftmals nicht bewusstes, nicht einmal erklärbares Programmieren) vorgestellt, der sodann von der „Staatstechnik“ bei Frankenberg kontrastiert wurde, mithin als eine „harte“ politische Steuerungsfähigkeit und -mächtigkeit (bewusstes, kalkuliertes Programmieren).
Ein Kreis, der die o.a. vier Punkte einfängt und sich in einem neuen verschalten soll: In der Vermutung eines zugrunde liegenden ungesehenen Moments, eines invisiblisierten politischen Motors in der Gesellschaft, der insbesondere den Gedanken einer unsichtbaren Ideologie aufnehmen soll und ein illiberales ethisch-, schlechterdings ethizistisch-totalitaristisches Moment freilegen soll. Nur ansatzweise fängt diese Vermutung die Annahmen spezifisch kulturellen Agenda-Settings ein.
IV.
Claude Lefort bedeutet auch mit seinen zwei provokanten Theoremen über das Totalitäre den Weg in eine wirkliche oder wilde Demokratie, die den Vorhang der instituierten Demokratie mit ihrer vielgestaltigen Klaviatur symbolischer Vorkehrungen zu lüften sucht: 1. Der Totalitarismus wurzelt hiernach in seiner konfiguratorischen Anfänglichkeit in der „demokratischen Revolution“. 2. Der Totalitarismus kann insoweit nicht als etwas Gegenteiliges von Demokratie, sondern als Erscheinungsform oder als genuine Form des Demokratischen gelesen werden. Das Totalitaristische und das Demokratische scheiden sich in einer Indifferenz, die darin gründet, dass das gleichursprüngliche Totalitäre sich wie das Demokratische - insoweit auch „eine Vorläuferschaft“ in den Morphologien der Despotie oder Tyrannei nicht nachweisbar ist – an einem „leeren Ort der Macht“ nicht nur selbst erzeugen und erfinden, sondern auch diese, seine spezifische mise en forme (Lefort) als die eigentliche Selbsterfindung einer selbstbefreiten Gesellschaft verstehen muss. Im Zusammenhang anfänglicher Selbsterzeugung und -erfindung, mit einem Verständnis über eine Repräsentation ihrer Ursprünge besetzen die totalitären Ideologien keinesfalls je alternierende, ontologische Fundamente – vielmehr sind diese sekundär, lediglich bloße Werkzeuge der Ausgestaltung von gesellschaftlicher Selbsterfindung und schlussendlich eine mise en forme. Nachfolgend soll anhand einer kurzen Passage Lefort‘schen Denkens eine Gelenkstelle erzeugt werden, die als Aufnahmepunkt für die Beschreibung eines invisibiliserten Raumes dienen soll: Die anfängliche Fragestellung dieser Untersuchung zu unsichtbaren, ethizistischen Praktiken einer sich versicherheitlichenden Gesellschaft, die sich als eine Form depolitisierter Steuerungsmöglichkeit und -mächtigkeit für die parlamentspolitische Programmierung eines, neuerlich multidimensionalen Sicherheitsbegriffs begreifen lassen, soll nicht ohne eine kursorische Blicknahme der freilich nicht unbestritten gebliebenen (Vorwurf eines Normativitätsdefizits) „unsichtbaren Ideologie“ bei Lefort auskommen.
In einem Lefort maßgeblich formativen Fahrwasser von Machiavelli, La Boétie, Toqueville sowie Kantorowicz und Lacan bringt der Autor u.a. in seinem Aufsatz „La question de la démocratie“ seine politische Philosophie gegen eine politische Wissenschaft in Stellung. Es sei insoweit auf den herausragenden roten Faden Lefort‘schen Denkens hingewiesen:
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Die geteilte Gesellschaft. Die Teilung der Gesellschaft eröffnet den gesellschaftlichen Raum als Feld politischer Macht. Diese Teilung der Gesellschaft teilt nicht „in Teile“, die sich fremd gegenüberstehen würden, sondern spiegelt ein Gefüge sozialer Praxis, die nicht überblickt, gelesen werden kann. Zu denkende Grundfigur ist also, dass die Seinsweise und die Praxis der Gesellschaft nie mit ihrer symbolischen Repräsentation in ein konsistentes, kongruentes oder selbsttransparentes Verhältnis, kurz, dass sie nie In-Eins mit sich selbst fällt (so auch der Staat nicht). „Anders gesagt, Gesellschaft erscheint nur, indem sie sich selbst fehlt.“ Keiner vermag die Symbolizität der Macht zu neutralisieren, da die ursprüngliche Teilung der Gesellschaft jede Utopie, Fiktion oder Programmatik gesellschaftlicher Einheit diffundiert. Jedes Denken einer gesellschaftlichen Einheit, jede Versuchsanleitung des In-Eins-Fallens wäre hiernach verdächtig, genauer noch: ideologieverdächtig. Die Teilung der Gesellschaft selbst evoziert erst die Suchbewegung nach einer ungeteilten oder vereinten Gesellschaft; sie ist auch Urheber eines irreduziblen Phantasmas, das ein latent Politisches zum Vorschein bringt (Phantasmen sind also Vorstellungen, welche den ursprünglichen Mangel, der durch die (Selbst-)Teilung der Gesellschaft in ihr anwesend ist, abzuwehren suchen – sie werden in dem Wunsch des In-Eins-Fallens von Staat und Gesellschaft projektiert). Lefort geht von einer symbolischen Konfiguration von Macht aus: Die politische Macht im unabgeschlossenen Raum des Symbolischen bildet den Ausgangspunkt; dieser kommt archetypisch in der demokratischen oder bürgerlichen Revolution – und zwar evident - zu Bewusstsein. Jeder wissenschaftliche, politische oder lebensweltliche Zugang zu einem Gesellschaftlichen muss verleugnen, dass er selbst gesellschaftlich bedingt ist: Der Rekurs auf ein Symbolisches verwickelt also jede Betrachtung von Gesellschaft (aus einem Außen) mit einem Malus, dass eine Bezugnahme und eine Erklärungsleistung von Gesellschaft erst durch die Unmöglichkeit eines absoluten Überblicks möglich wird. Das Dilemma symbolischer Macht - als Produkt eines neuen Selbstverständnisses der „selbstbefreiten“ Gesellschaft – gründet darin, dass die politische Macht nurmehr in einem zunächst entgrenzten Symbolischen erscheint und in dessen Folge ein mögliche Inkorporation des Gesellschaftskörpers in der Person eines Souveräns oder Monarchen ausbleibt.
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Die Verkörperung des Einen und die Kritik der Alleinherrschaft. Woher stammt das historische Wissen um die symbolische Dimension von Machtkonfiguration ? Kritisches und subversives Wissen darum erscheint bei Machiavelli und bei La Boétie: „Beide eröffnen ein Register politischer Macht, das über die Verführungskraft eines Monarchen oder die Idee einer der absoluten Macht zugrunde liegenden, physischen Kraft hinausweist. Als Name – des Fürsten oder des Einen – begreifen beide eine eigentümliche Dimension, die eine Verbindung zwischen dem Pol absoluter Macht und dem Eigennamen des Monarchen herstellt, also die eine zwischen beiden herrschende Beziehungskraft selbst darstellt.“ Der Monarch des Ancien Régime eskamotiert nicht einen außerweltlichen, einzig ihm offenbarten - und somit jeglichen Öffentlichkeiten entzogenen - Ort der Macht, der in seinem Verständnis als eine analoge weltliche Verschaltung des Corpus Christi gelesen werden soll, sondern, so etwa in den Discorsi bei Machiavelli, auch der Alleinherrscher müsse selbst an diesem Ort seine Macht erst imaginieren (Macht wird hier zu einem Ort, in dem ein politisch-theologisches Denken ein Bewusstsein für vielseitige Stabilisierungsmechanismen monarchischer Macht schafft, der dem gesellschaftlichen Zugriff entzogen ist, jedoch mit der Person des Herrschers ineins fällt). Das Bild der zwei Körper des Königs (Kantorowicz), dem sich der Beherrschte freiwillig unterwirft, befördert hierin in seiner Form als Synekdoche den konservierten Glauben an das Eine. Als beachtlichen Sidekick sollte es man sich anraten lassen, die Demokratie modernen Zuschnitts mit der Morphologie der Monarchie in Beziehung zu setzen – die oft besungene Rekursnahme antiker Demokratie erscheint eingedenk dieser Literatur allenfalls als ein technisches Transformationsvehikel in der Moderne.
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Die Macht von allen und niemandem: das Reale der sozialen Teilung. „Die demokratische Revolution – zuvor lange unterirdisch – explodiert, als der Körper des Königs zerstört wird, als das Haupt des politischen Körpers (die Vereinigung des Gesellschaftskörpers im Namen-des-Einen) fällt und als sich, im selben Zug, die Korporalität des Sozialen auflöst (Der Körper wird nicht nur zerstört, er fällt jetzt in permanenter Rekursnahme auf sich selbst zurück).“ Das konflikatorische Moment in der ursprünglichen Teilung (die keine empirische Teilung ist) widerstreitet jegliche allmächtige Machtkonfiguration; es widersteht grundsätzlich auch einer demokratischen Machtausübung. Der die Gesellschaft (selbst-)teilende Konflikt und die demokratische Machtausübung schließen sich jedoch insofern für Lefort nicht aus, als sie sich wechselseitig bedingen: Jeder Versuch einer Versöhnung der sozialen Teilung, jedes Ansinnen einer politischen Überwindungstechnik sozialer Teilung führen in einen Selbstentzug von Macht – so wie der Fürst alle Macht verliert, wenn er selbst dem Bild verfällt, das andere von ihm haben. Diese Unverfügbarkeit, das heißt auch die Unmöglichkeit ihrer Verbergung oder Aufhebung, ist in dieser Hinsicht das Reale der Gesellschaft: „Gesellschaft besitzt sich nicht selbst und kann von niemanden besetzt werden; sie muss sich selbst gegenüber als solche im Symbolischen erst erscheinen.“
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Das Symbolische ist nicht das Ideologische. Zugelassene Repräsentationsweisen des Gesellschaftlichen gießen sich nicht in eine das Gemeinwesen verfassende Form, z.B. in die denkbaren Morphologien eines „Staatsbildes“, sondern sind selbst generative Prinzipien der Form – sie sind immer nur formgebend, nicht Form. Durch diese reale Unmöglichkeit gesellschaftlicher Ganzheit unterhält das Symbolische, so Lefort, eine unauflösbare Beziehung zum Imaginären. Dieses Verhältnis, diese Beziehung verspricht demgegenüber Möglichkeiten der Ganzheit, das Beziehungsmoment zwischen einem Symbolischen und Imaginären lässt somit Projektionen eines In-Eins-Fallens zu (obzwar sie stets auch Artikulation ihrer Unmöglichkeit sind). Gesellschaftspolitisches, das Ganzheit anstrebt, sich im Namen von Allgemeinheit als Eins selbst erfinden will, überschreibt insoweit eine Differenz zwischen dem Realen, Symbolischen und Imaginären in der Gesellschaft. Das führt Lefort in die Bestimmung des Ideologischen: vorwegnehmend: Die Ideologie ist Repräsentationsweise, die die Trias überdeckt; Ideologie ist insoweit auch jeder Form gesellschaftlicher Selbsterfindung, jedem Selbstfindungsprozess intern (Demokratie und Totalitarismus sind vor diesem Hintergrund gleichfalls ein gesellschaftliches Selbsterfinden). Ideologie ist nicht einfach gesellschaftliches Täuschungsmanöver, sondern die Verkennung der Konfigurationsbedingungen der Gesellschaft selbst. Klassische Ideologiekritik nährt sich von einer Opposition zwischen Ideologie und Wissen und behauptet eine vollständige Aufklärbarkeit der gesellschaftlichen Realität gegenüber ihrer ideologischen Verzerrung; für Lefort drückt Ideologie zunächst ein Begehren aus, die Unbestimmtheit und Unverfügbarkeit des Sozialen aufzuheben sowie die imaginäre Einheit des Sozialen zu realisieren. Konterkariert herkömmliche Ideologiekritik von ihrem Standpunkt des Wissens um das Reale der Gesellschaft (aus deren gefestigten disziplinären Einschätzungsprärogativen heraus), so wird sie selbst ideologieverdächtig, schließlich ist jede Gesellschaft mit einem irreduziblen Wahrheitsproblem verwickelt, das aus ihrer unendlichen Teilung zwischen einem Realen und Irrealen herrührt.
Wie kann Ideologiekritik dann noch betrieben werden, ohne selbst ideologisch oder ideologieverdächtig zu sein ? „Leforts Vorschlag lautet, sie als Kritik jener phantasmatischen Effekte zu verstehen, die den Prozess der Vereinigung vereinseitgen und damit dem Bild der Einheit oder, anders gesagt, dem Charme des Namens-des-Einen erliegen – sei dies in politisch-praktischen Zusammenhängen oder in Form des „Gespenst(s) einer wahren Theorie.“ Solche Ideologie maskiert also nicht das Reale des Sozialen (herkömmliche Ideologiekritik würde das zu demaskieren suchen), das von ideologischer Verzerrung befallen ist, sondern beschreibt Prozesse, welche die Teilung der Gesellschaft selbst verdecken. Kurz gesagt: die Illusion einer Macht, einer Einheit (der zu widerstehen ist) entsteht also aus einer Verwechslung des Symbolischen mit dem Realen. Dieser Verwechslungsakt nährt ein Verständnis für das Imaginäre. „Wenn die Gesellschaft - ohne Körper und Gewissheiten – in ihrer symbolischen Matrix nur in Form von Repräsentationen ihrer selbst erscheint, so erhält Politik darin einen unhintergehbaren inszenatorischen Charakter.“ Die symbolische Figuration einer politischen Bühne wird nun in einem Raum ausgetragen, der nicht mehr als substanzieller oder transzendental verankert erscheint, sondern dessen Substanz und Existenz in ihren je alternierenden formativem Prozess selbst radikal zur Disposition stehen. Und hierin soll die gesellschaftliche Selbstbestimmung nurmehr rollenhaft darstellbar sein (und kommt beispielhaft nicht ohne theatralische oder dramatische Momente eines Politikbetriebes aus). Es ist das Imaginäre, das ebenfalls ins Werk gesetzt wird und bis zu einem gewissen Grad werden muss. Für Lefort ist das Imaginäre der Schauplatz, an dem die Spuren der Teilung der Gesellschaft zum Verschwinden gebracht werden sollen: Politik besitzt (wegen diagnostizierter Unmöglichkeit einer Überwindung gesellschaftlicher Teilung) ein offenes Ende; und es führt Politik das politische Drama der vorletzten und niemals der letzten Fragen auf. Die wechselseitige Sichtbarkeit einer Bühne ist unabdingbares Kriterium für mögliche Veränderungen von Standpunkten; sie ermöglicht ein Forum, in dem die Legitimität neuer Rechte, neuer Richtlinien durch öffentliche Meinung Anerkennung oder Ablehnung finden sollen; es gibt in ihr keine Zuschauerperspektive, die nicht in irgend einer Weise in dieser „Aufführung“involviert wäre – die politische Bühne ist unhintergehbare Schnittstelle aller denkbarer und repräsentierter Bereichspolitik (auch die geheimen Politiken brechen sich an diesem Ort – das geschichtliche Korrektiv holt sie zeitverzögert ein). „Macht ist also nur als repräsentierte wirklich, und Repräsentation erscheint als mehr oder weniger machtvolle – weder als Eigentum noch als Eigenschaft einer Person oder des Einen.“ Hier deutet sich also das Imaginäre in zweifacher Weise an: a) als Phantasma, die Macht selbst doch noch, in einer Person oder in einem Staat fundieren zu können und dem besagten Bühnenraum zu entziehen sowie b) im Fortbestehen (oder in der Konstruktion) eines imaginären Außen der Gesellschaft, auf das sich alle Repräsentationen beziehen, ohne es besetzen zu können. Das zeigt auch auf, wie schnell ein gewählter Repräsentant den Anspruch des Handelns für eine „Allgemeinheit“ einbüßen kann – ist dieser (oder die aktuelle Macht) davon überzeugt, das zu sein, was andere von ihm (ihr) denken, dann zerfällt Macht (zuallererst) in den Augen der gesellschaftlichen Akteure – sie wird nicht mehr von einem allgemeinen, sondern partikularen Input getragen. Die Imagination zerfällt. Die demokratische Machtausübung findet somit an der Schwelle, an der Nahtstelle einer Auflösung von Gemeinschaft (die eine Vielheit von gesellschaftlichen Phantomen zu ertragen hat) statt, obschon die „Macht“ selbst glaubt, an diesem Ort das Gemeinwesen selbst erst erscheinen zu lassen. Machtausübung ist nur unter jederzeitigen Entzuges seiner Legitimation denkbar, einzig so realisierbar. Gesagtes ist der Einsatzpunkt Leforts für seine post-marxistische Ideologiekritik. Eine Schwierigkeit besteht indessen immer: In vielen Fällen ist das Regime eines Imaginären nicht in hinreichender Weise auch sichtbar.
- Die Unsichtbarkeit des Imaginären und die Entsymbolisierung der Politik. Die Ideologiekritik Leforts will das Imaginäre nicht vom Symbolischen geschieden, er will nicht nur eine wechselseitge, sondern gedoppelte Bezüglichkeit verwirklicht wissen: Seine Grundannahme verweist darauf, dass im Imaginären nicht nur das Phantasma des In-Eins-Fallens oder des Namen-des-Einen erscheint, sondern auch die benannte Sphäre einer in ihrer ursprünglichen Unverfügbarkeit sich selbst teilenden und zugleich selbst vereinenden Gesellschaft. Eine zugelassene finale Fusion des Symbolischen und des Imaginären führt hiernach dazu, dass eine Gesellschaft alle Macht abschafft; eine gegenteilige totale Verleugnung imaginärer Momente im Symbolischen führt indessen dazu, dass eine Gesellschaft ohne Macht entstünde, da nun jeglicher äußerliche, außerweltliche oder unsichtbare Bezugspunkt eines Symbolischen getilgt würde. Eine programmatische Unifikation des Imaginären im totalitären Führer- oder Einparteien-Staat (die vor dem Hintergrund eines Gebrauchswertes des Imaginären unterschieden werden könnten) und das Problem einer (die Gesellschaft sich selbst imaginierenden) Herausrechnung des Imaginären in den post-totalitaristischen Staaten - also auch in den westlichen Demokratien - dient Lefort maßgeblich als Arbeitsfolie. Für den Totalitarismus gilt: Die Suche nach dem Namen des Einen und die Re-etablierung eines in sich kongruenten gesellschaftlichen Körpers leugnet insoweit radikal jegliche Einschlüsse gesellschaftlicher Selbstdifferenz. Der Totalitarismus ist nichts anderes als die permanente Reproduktion eines antagonistischen, zumindest agonalen Anderen durch die Repräsentation des Einen-Volks sowie die Zuschreibung von Andersheit auf ihre inneren und äußeren Feinde. Jegliche Figurationen des Einen als Kollektivsubjekt nötigen einem „vorhanden Volk“ in einem fort, sozusagen revolvierend, (beispielhaft) biopolitische Unterscheidungen und Abspaltungen (Ächtung von Bevölkerungsteilen etc.) ab, was die Logik gesellschaftlicher Teilung paradoxerweise wiederkehrend fokussiert (soll das totalitäre Projekt doch gerade prototypische Überwindungstechnik sozialer Differenz sein). „Die widersprüchliche Erfahrung im Totalitarismus besteht darin, dass die gesellschaftliche Teilung gerade aufgrund jenes Unternehmens wiederentsteht, das darauf zielt, sie abzuschaffen.“ Dem Totalitarismus ist demnach ein Scheitern als Bedingung seiner Durchsetzung intern, insofern er sich nur durch das selbst erscheint, was ihm ursprünglich widerspricht. Und dieses Scheitern im und des Totalitarismus ist letztlich der Türöffner für das Lefort‘sche Denken: Er untersucht das Scheitern unter der einzigartigen Bedingung, ein Imaginäres nicht gänzlich in einem Symbolischen neutralisieren zu müssen. Eine absolute und somit auch einfache Verbannung (s.o. und ein Hinweis darauf, dass solches übliches Vorgehen im „Post-Totalitarismus“ ist) führt eben nicht nur zu einer Weigerung, den Totalitarismus in dieser Hinsicht ernst zu nehmen, sondern auch zur Verkennung eines neuen nach-bürgerlichen und nach-totalitären Typs der Ideologie, der sich durch eine gänzlich neue Konstellation des Realen, Symbolischen und Imaginären auszeichnet (Eine Form quasi-totalitaristischen Settings kann in der Demokratie also existieren, koexistieren – die, die eine Verbannung, sozusagen als Affekt auf den Totalitarismus, vollführen, diese annehmen, merken nicht, dass die Verbannung des Imaginären im Grunde nicht gelungen ist). Das ist die Geburtsstunde der unsichtbaren Ideologie; sie erscheint in den Momenten, in denen eine Gesellschaft ihre Pluralität, ihre Teilung anzuerkennen vermag, zugleich aber sich - fälschlicherweise – frei von jeglicher phantasmatischer Verstricktheit wähnt. Also nichts anderes als eine bloß subtilere Verkennung der Unverfügbarkeit, der Teilung von Gesellschaft ! Letztlich versucht Lefort ja eine Anerkennung dieser Unverfügbarkeit im Sinne eines imaginären Bezugspunktes in seiner Ideologiekritik zu verankern, der nicht expliziert oder in Wissen überführt werden kann (Er vermutet ja bei der unsichtbaren Ideologie fortgesetzt etwas Imaginäres am Werke): Die unsichtbare Ideologie verdeckt die Erfahrung von Grundlosigkeit der Gesellschaft; hingegen vermag sie das zu bewahren, was als eine Differenz jenseits der Meinungen, also etwas, was jenseits dessen ist, was sie voraussetzt, vermutet wird. Denn, so Lefort, dass „die menschliche Gesellschaft nur eine Öffnung auf sich selbst hat, indem sie in eine Öffnung hineingenommen wird, die sie nicht erzeugt, genau das sagt jede Religion.“ Es ist sozusagen als eine phantasmagorische Zerstreuung der phantasmatischen Vorstellung des Namen-des-Einen oder des In-Eins-Fallens aufzufassen; die unsichtbare Ideologie produziert Vexierbilder: die Gesellschaft denkt, dass im hoch ausdifferenziert demokratischen Staat alles Erfahrungswissen handhabbar, sichtbar und intelligibel sei (im Grunde das Setting oder der Anspruch einer „selbstbefreiten“ Gesellschaft - die einem Phantasma des Eins erfolgreich zu widersprechen hat - ist hier selbst ein Phantasma). Die totalitäre Ideologie kommt nicht ohne Feind, ohne das antagonistische oder agonale, stets zu reproduzierende Andere aus, um die soziale Teilung der Gesellschaft verdecken zu können; die unsichtbare Ideologie in den westlichen Demokratien erzielt den (selben) verdeckenden Effekt dadurch, dass sie unreflektiert (durch Verleugnung und Verleumdung eines Imaginären) das gesellschaftliche Miteinander, z.B. ein mediatisiertes oder transzendental hypothetisch zugelassenes Wir im Symbolischen demokratischer Machtausübung für entwickelt und verwirklicht hält. Wäre das insoweit wahrhaftig, dann würden alle modernen Politiken anders aussehen, schlimmer noch: die westlichen Demokratien wären Orte ohne Machtausübung (es gibt sehr wohl gesellschaftliche Tendenzen, die ein völliges Verschwinden des Imaginären transportieren: es sind die bekannten individualistischen, egologischen, ipseologischen Momente in den westlichen Demokratien – jedoch vermögen diese starken Tendenzen final nicht, das Imaginäre vollends zu neutralisieren). Lefort leitet demgemäß über, dass die Verleugnung des Imaginären in den Massendemokratien (genauso wie der Primat des Imaginären im Totalitarismus) auch zu einer Entsymbolisierung des Politischen führe: „Da in der Entsymbolisierung auch die Konfigurationsbedingungen politischer Macht verschleiert und damit invisibilisiert werden, kommt sie einer Entpolitisierung gleich. Lefort muss denklogisch vor 'der Vorstellung warnen, dass die Demokratie keine Feinde mehr hätte und dass sie nicht selber der Herd neuer Weisen der Unterdrückung des Denkens, neuer Formen der freiwilligen Knechtschaft wäre, deren Folgen wir nicht kennen'. Das Unsichtbare des Imaginären und der Ideologie muss dagegen selbst wieder sichtbar werden.“ Die Programmierungshoheit des Sicherheitsbegriffes, das nicht verschwundene Imaginäre in der eingespielten, repräsentativen Demokratie, die unsichtbare Ideologie und das totalitaristische, lebensfähige Moment in der Demokratie: Mit Lefort würden sich - anders als bei klassischen Erklärungsversuchen – ganz neue Urheberschaften eines Programmierens herleiten: z.B dadurch, dass man es wagt, das als etwas Imaginäres (als ein heute noch durchgreifendes Imaginäres) zu benennen, was Lefort ja als etwas nicht greifbares bezeichnen würde, das jenseits der Meinungen läge: ein imaginärer Motor des Ethizistischen in der modernen Demokratie, der nach dieser Untersuchung sehr gewichtig werden kann, wenn es um die Typizität von Sicherheitsbegriff und -recht gehen soll – der gleichsam einen Raum in der Gesellschaft einnimmt, aus dem jeder noch so kalkuliert handelnde Sicherheitsingenieur erst heraustreten muss.
Was soll an dieser Stelle mitgenommen werden: Ein eigenlogisch Prozessierendes, das nur noch von dem sprechen, von dem berichten kann, was im Zeitpunkt der Selbstbefreiung der Gesellschaft oder kurz darauf im Rahmen einer bürgerlichen Ideologie faktisch verwirklicht war und zunehmend verschwunden ist; mit der Konsolidierung der repräsentativen Demokratie, die nachweislich Neukonstitution von Repräsentation zu verhindern vermag.
Die unsichtbare Ideologie diagnostiziert a) eine fälschlicherweise angenommene Herausschreibung eines jeden imaginären Restes aus den realen und symbolischen Dispositiven der post-totalitär verfassten Gemeinwesen und b) eine korrespondierende Verhinderung/Erschwerung der Neukonstitution von Repräsentation in den modernen Massendemokratien (In den etablierten, hoch ausdifferenzierten, also „eingeschliffenen“ Demokratien wird nur noch von dem gesprochen, was anfänglich in einer bürgerlichen oder demokratischen Revolution gelebt wurde, s.o.). Was ist aber mit einer (in originär politisch Programmierendes) durchgreifenden Steuerungsfähigkeit und -mächtigkeit, die sich in und aus einem Imaginären heraus verschalten ließe (Schlussendlich vermutet Lefort ja, dass das Imaginäre nur uneigentlich verschwunden ist, weil es der irrigen Annahme zum Opfer fiele, innerhalb derer das Ganze in Teilen des Sozialen als intelligibel, sagbar, determinierbar und vorhersehbar verkannt werde). Vor dem Hintergrund einer in Tätigkeit gesetzten unsichtbaren Ideologie könnte demnach (Neu-)konstitution nicht von einem originären Politischen, sondern von einem Ethischen (schlechterdings Ethizistischen) eingenommen werden – und einem so vertretbar anzunehmenden vorprozessierenden Raum entstammen. Wie könnte sich das Eigenlogische dieses vom Politischen oder Sozialen entkoppelten Prozessierens einfangen lassen ? In einer eigentümlichen Weise könnte es Badious Ereignistheorem leisten, das im wesentlichen entlang eines Treueverhältnisses zwischen Ereigniswahrheit und Subjektformierung, eine neue politische Philosophie zu deklarieren, eine neue Form von Politik einzufangen sucht.
Der Staat sei hiernach a-politisch; die Demokratie und der Totalitarismus als denkbare Morphologien sich verfassender Gemeinwesen führen hier (wohlgemerkt extravagant) in ihrer nicht trennbaren, gemeinsamen Verschaltung erst zu einer Politisierung aller infrastaatlichen Öffentlichkeiten: der Staat wird erst durch diese additiven Ereignisse zu etwas Politischem. Das Totalitäre formt das Politische als eine universelle Prätention von Staat aus; das Demokratische ruht diesem Anspruch gleichsam auf, jedoch es versucht es dadurch zu verbergen, indem es den Totalitarismus als Gegenteiliges ihrer eigenen Morphologie erfahren will. „(...) So muss man Politik von der Fiktion des kommunitären oder sozialen Bandes genauso entkoppeln wie von der Fiktion der Repräsentation.“ Die politischen Selbstverständnisse von Personenmehrheiten repräsentieren für Badiou nichts Soziales. Es gibt kein Proletariat, es gibt keinen Staat, die sich im Sozialen spiegeln.
Wahre Politik gehört nach Badiou dem Realen an, es ist unvereinbar mit einer sozialen Ordnung, mit dem unklaren, ungeordneten Ontischen. Die Politik könne also nur - wie das Reale – zur Ordnung eines heterogenen Registers von Ereignissen jenseits des Seienden („ce qui est“) gehören. Wahrheit misst sich im Ausdruck eines Ereignisses - und nur in diesem: das Ereignis unterbricht das Ontische des Sozialen oder wie es bei Badiou heißt, den Status oder auch den Staat (ètat). Das Ereignis unterbricht insoweit eine jede lebensweltliche Situation, als es nicht selbst Bestandteil einer Situation werden kann, sondern nur als deren supplementierender Ausdruck erscheint und sodann verschwindet; es ist gleichsam Anstrengung, ein spezifisches Ereignis mit dem eigenen Denken abzustimmen, ihm Treue zu erweisen. Ist das Ereignis Bestandteil einer Situation, verbleibt es in ihr, so ist es innerhalb der Regeln einer Situation detektierbar: es vermag das Soziale nicht zu unterbrechen. Verdrillt man demgemäß das hier nur kursorisch dargestellte Ereignistheorem Badious mit den Begriffen des Politischen, so kann seine Politik nur dadurch werden, was die Fiktion des Politischen unterbricht.
Kann das Denken von „neuer“ Sicherheit und Unsicherheit in einem solchen, ähnlich prozessierenden Raum (den Badiou hier in seinem Denken als ein Politisches unfreiwillig anböte) als etwas wie beschrieben ethisch und zunächst nicht politisch Prozessierendes entwickelt werden ? Das, was Badiou als (uneigentliches, damit eigentümliches) Politisches ausformt, schreibt sich eigentlich in ein ethisches Register ein; es ist schlichtweg insoweit keine Politik (z.B. in einem Machiavelli‘schen Reich des Bedingten), als es nicht unbedingt landläufigen Verständnissen von Ethik aufruht, sondern dadurch, dass es einen Rollentausch privilegiert: Die Unterordnung aller denkbaren Bühnen eines Politischen und Rechtlichen unter ein Ethisches hervorhebt. Gerade dieses Badiou‘sche Moment könnte aber durchaus das beschreiben, was vorliegend gesucht wird: ein fortgesetzt durchgreifendes, aktivierendes Imaginäres, s.o., das einem einen ethizistischen Motor als ein überlebendes Imaginäres im symbolichen Dispositiv moderner Massendemokratien vermutbar annehmen lassen könnte – ihn als ein vom Sozialen abgeschnittenen Raum vorzustellen, der nie unbeeindruckt, unbeschädigt verlassen werden kann, aus dem jeder erst unter der Eindrücklichkeit von zugleich auftretenden und verschwindenden Ereignissen heraustreten muss (Bei Badiou wäre es insoweit politisch als es dem Realen entstammt, sprich nicht durch Soziales konstruierbar sei). Angenommen, etwas neues Unsicheres wird von der Gesellschaft als ein rarefiziertes Ereignis von Wahrheit wahrgenommen, das eine ontische Gewissheit nicht unmerklich erschüttert (Gefahren terroristischer Eskalation fordert Neuverhandlung von Sicherheit und Unsicherheit außerhalb eines sozial akzeptierten Managements von Gefahrenabwehr); jedoch wird es zunächst nicht in ein Soziales hineingerechnet, es wird zuallererst und gerade von einem solchen vorpolitischen Angelpunkt an das eigene Denken „angenäht“ (Badiou), sodass es auch – wie Badiou es sagt – das Ontische des Sozialen in erster Linie zu unterbrechen vermag (das Soziale wäre vorliegend sozusagen von ontisch beschädigtem oder verunreinigtem, negativ konnotiert: parteipolitisch korrumptivem Sicherheitsdenken geprägt). Damit würde auch die Behauptung sich gestützt wissen, dass ein solches gerade auf ein so vorprozessierendes Sicherheitspolitisches (somit: „Sicherheitsreligiöses“)“ zuträfe und eben nicht im selben Maße auf Ereignisse in anderen, im Grunde mathematisierten Bereichspolitiken.
Lässt sich eine derartige Ausschließung politischer Differenz aus der Ontik des Sozialen (Machart), sprich die strikte Anwendung eines Badiou‘schen Käfigs seltener und ethischer, nicht minder heroischer Politikvorstellung schlussendlich mit solchen Vermutungen in Beziehung setzen, denen vorliegend nachgespürt werden sollen: Kommt ein Denken von Sicherheit und Unsicherheit jenseits ontischer Verunreinigung und Bedingtheit tatsächlich ohne jegliche Differenzierungsarbeit oder ohne eine Form von Verstricktheit aus (als seltenes Ad-hoc-Ereignis) ? Der Badiou‘sche Aufweis bleibt durchaus innerhalb der hier aufgestellten Vermutung funktionabel (Freilich findet Differenzierungsarbeit statt, diese ist aber insoweit vorpolitisch konnotiert): Kann ein Badiou‘sches, seltenes Ereignis (heroischer Politikvorstellung) vor diesem Hintergrund überhaupt bestimmt werden, eines, an dem retroaktive Logiken „angenäht“ werden können (die ein Subjekt zum Ergebnis eines Ereignisses werden lässt) ? Es sollte somit ein Ereignis sein, dass ohne Fragestellungen sozialer oder rechtlicher Realität und Machbarkeit auskommen muss, allenfalls neue Form oder System von Gewissheit, sprich Badiou‘sche Wahrheit sein. Rubrizieren könnte ein gesuchtes Ad-hoc-Ereignis unter der hier schon aufgetretenen „Sicherheitskultur“, die zunächst nämlich nichts tatsächlich Soziales reifizierbar macht (und solches trotz ihrer die Wissenschaften sympathisch akzentuierenden Ansprüche), sondern die eine nicht totalisierbare, also schon nicht begrifflich greifbare Gesellschaft (weit vorgelagert) in der Form erfasst, als reine ontologische, bestenfalls schon hantologische oder gar reine religiöse, noch schwächer: urförmige Gedankenspiele hervorgerufen werden (vgl. obige Ausführung zu einer zweiten irreduziblen Identität eines „Wir“). Wie kann ein Anspruch des Unbedingten, der solchen Spielarten intern ist, in eine epistemisch-dynamisierte Demokratie hineingedacht werden und zwar so, dass „etwas“ Unbedingtes sogar zu einer parlamentspolitischen Programmieren befähigt – in den originär politisch programmierenden Raum durchgreifen kann ? Was wäre, wenn dem so festgestellten (Ersatz-)fundament „Ethizismus“ ein seine Form konstituierendes – und in einer Demokratie scheinbar lebensfähiges - Quasi-Totalitäres eigen ist ? Verkapselt sich hierin nun ein solches Ethisches oder Ethizistisches als Quasi-Totalitäres in einem sich neu gründenden ontologischen Fundament, das vor dem Hintergrund von Grundlosigkeit von Gesellschaft sich stets neu perpetuiert, weil herkömmliche Gewissheitssysteme und Fundamente nachweislich desintegriert sind (oder, weil sich das urförmige Denken von Sicherheit und Unsicherheit gar nicht von den Kriterien der Kontingenz oder der Konfliktualität beeindrucken lässt) ? Oder ist er nur bloßes Tool zur Aufrechterhaltung einer spezifischen Selbsterfindung von Gesellschaft, sprich: wenn der so gesehene leere Ort der Macht als Raum einer Ermächtigung zu solcher stets streitbehafteten Selbsterfindung von Gesellschaft betrachtet wird, in dem zum Nachteil anerkannter Limitierungen prozessiert werden kann (Sicherheitspolitik und -recht kennt Schranken, „Sicherheitsreligiöses“ ist schranken- und maßlos). Das Quasi-Totalitäre und seine Logik der Durchgängigkeit: Es besteht zumindest der Verdacht, dass sich eine Kontrastierung (wie auch immer herleitend) zwischen Staat und Zivilgesellschaft durch dieses quasi-totalitäre Verständnis herausschreiben ließe. Die Problematisierung von Sicherheit unterfällt (wundersam) einer scheinbar durchgängigen Identifizierung in der Gesellschaft: Verantwortlich zeichnet eine Ethik des Unbedingten, als übergreifender Imperativ darf sie völlig konträr zu einer politischen Realität stehen. In vielen Politiken würden sich demnach solche Versuche eines Majoritär-Werdens anders gestalten; sich einhegende Partizipationsformen herausbilden, die mit dem Symbolischen und Realen in gegenseitige Beziehung treten müssen. Gerade in der Sphäre der Sicherheitspolitiken „fühlt“ es sich aber anders an: Es sind Ausdrücke von Exzess-Zugehörigkeiten zu einem gesellschaftlich verstandenen, politischen Willensbildungsprozess; mitunter zeitigen solche auch (Grund-)Rechtsübertritte zum Nachteil von Adressaten, die sich agonal zu einer Vorstellung von Unbedingtheit positionieren oder sie unterteilen sich in Formen von Gesinnungsethik, die durch einen additiven Effekt auch jegliche Möglichkeit strategischen und politischen Handelns nicht unwesentlich erschwert (Mengenlehre-Gedanke in der Politik).
All dieses bedeutet zunächst den Weg in eine nur uneigentlich abgeschlossene Sandbox, in der ein repititierend sprossender, ethischer oder gar ethizistischer Gedanke sein Unwesen treiben muss. Ein isoliertes Terrain, auf dem ethische Software ohne Außenwirkung getestet werden kann. Als ein beschämter Raum, als ein Raum, von dem jeder ergriffen wird, dessen Durchgängigkeit aber hoffnungsvoll in den Raum, in dem originär politisch Programmierendes vollzogen werden kann, verdrängt wird. Indem das Eigentümliche und Pathetische eines Ethizistischen fortwährend Konflikte in den Raum des Sicherheitsdenkens wirft, den man alternierend gerne oder auch widerwillig verlassen will, den man aber nie „unbeschädigt“ verlassen kann, wird ein unterstelltes „Wir“ herausgefordert, sich in seinem Selbst zu verlernen: Die lediglich partielle Extinktion dieses „wilden“ Raumes eines ethischen „Wir“ bleibt eine – wenn auch depolitisierte - Steuerungsfähigkeit und -mächtigkeit intern, die einem so gesehenen ethischen oder gar ethizistischen Register entstammen, die aber in ihrer epistemischen Dynamik allenfalls Abschwächungen erfahren; niemals jedoch durch rein symbolische Dispositive im eingespielten demokratischen und politisierten Zwischen der Menschen (Bedingtheit) neutralisiert werden können (ein Vorhof, in dem z.B. Jedermann Urängste gegenüber Fremdem anheim fällt, bevor Formen und Formgebung von Differenzierung einsetzen; in dem vermutlich eine und dieselbe „Kraft“ der „deutschen Seele“, die damalige negative Diskriminierung und die heutige positive Diskriminierung von Juden hervorbringen konnte beziehungsweise kann). Diese Passage von einem solchen „wilden“, unabschließbaren Primat des Ethischen, schlechterdings Ethizistischen zu einem originär politisch prozessierenden Raum, zeigt, dass ein totalitäres, vorliegend ein ethisch- oder ethizistisch-totalitäres Moment sehr wohl innerhalb demokratisch verfasster Gemeinwesen (als ausgewiesen post-totalitäre) lebensfähig ist: Eine denklogisch erratisch aufgeladene Mühewaltung im Prozess der Versicherheitlichung einer Gesellschaft, die in ihrer potentiellen ethisch-totalitären Verkapselung darüber Aufweis geben kann, dass eine Totalisierbarkeit eines Begriffes von Gesellschaft, z.B. unter einer emblematisch demokratischen Akzentuierung oder unter dem Eindruck eines von Selbstbefreiung imaginierten Selbsterfindens in demokratischer Verfasstheit, stets unmöglich ist.
Wie könnte man dieses steuermächtige, soziale Räume diffundierende Restpartikel benennen, das im „wilden“ Raum, im unbedingten Zwischen der Menschen auftritt – das als beschämtes Imaginäres kurzfristig unter einem Namen In-Eins-Fallen darf (z.B. im Namen eines Rechtsstaates, der im wilden Raum zugelassen totalitär zu einem hyperpräventiven Staat ohne Recht sich umstellen lassen darf) ? Es sind in gewisser Weise Frustrationsschäden existentiellen Sicherheitsdenkens, die einer gewissen Arbitrarität, einer irgendwie begründbaren Beliebigkeit vom Denken von Sicherheit und Unsicherheit entstammen (die nicht immer der kontingenten und konfliktuellen Verfasstheit, nicht immer nachweisbaren Entwicklungslinien eines Sozialen aufruhen, schon gar nicht in einem Rechtlichen reifizierbar werden müssen). Das im Reich einer ethischen Beliebigkeit und einer Zufälligkeit prozessierende Suchen, das Ad-hoc-Denken von Ereignis-Unsicherheit im „wilden“ Raum ist nicht weniger kontingent, als es arbiträr ist oder in dieser Form wirkt; es wird in erster Linie dadurch gekennzeichnet sein, indem es keine notwendigen, allenfalls hinreichende oder geeignete Gründe, weder Legitimation noch Tatsachen anführen kann. Ein beständiger, repititierender Belästigungsakt eines Sozialen: komisch-bemüht, kurzsichtig, affektuell und nicht selten überragend rein evangelisch-pietistisch. Vielleicht doch ein pathetisches, nur mäßig umstrittenes Ideal !
Unterstellt man jenem zivilisationstheoretischen Denken einen Anspruch auf Richtigkeit, das durch den Rückgriff auf eine partiale Kernthese, der sich kontinuierlich entwickelnden - und intern gesellschaftlich einhegenden - psychischen Selbstzwangs-Apparatur beim Menschen, einen entscheidenden Zug im Habitus jedes modernen Menschen herauszuarbeiten vermag, so kann die technische Umsetzung einer Assoziationsmatrix in einem Assoziativcomputer als denknotwendige Fortschreibung menschlichen Selbstzwanges gedacht werden. Die erfolgreiche gesellschaftliche Transponierung von Fremd- in Selbstzwang steht nach Elias mit „der Ausbildung von Monopolinstituten der körperlichen Gewalttat und mit der wachsenden Stabilität der Zentralorgane im engsten Zusammenhang“. Erst mit der sukzessiven Instituierung eines staatlichen Gewaltmonopols, staatlicher Beherrschungsmacht und ausdifferenzierter Gesellschaftsmechanik stellt sich jene Prägeapparatur her, die den einzelnen gelehrigen Körper an ein stabiles und vordefiniertes Verhalten gewöhnt, das nötig wird, wenn Gewaltformen aus den gesellschaftlichen Räumen verschwinden und das Komplement nur Selbstkontrolle heißen kann. Reine Selbstkontrolle ist dem Individuum früherer Gesellschaftsformationen nur bedingt möglich gewesen, weil Selbstkontrolle nur mit allen erdenklichen Gewaltformen - denen man nahezu durch jedermann (Obrigkeit und Private) unreglementiert ausgesetzt werden konnte - untermischt und verschmolzen Bestand hatte. Der neue, zivilisierte Mensch in seiner mannigfaltigen und alternierenden Erscheinung von Verflechtung und Selbstkontrolle hingegen, begreift Gewalt nur noch in einer Residualkategorie, in vermittelter Form an der Züchtung von Gewohnheiten mitarbeitend (so wie Foucaults gute Mittel der Abrichtung). Warum kann die Assoziationsmatrix (fortan auch AM) eines Assozitiativcomputers (AC) als nicht nur hochkompatibel zu, sondern vielmehr als feinjustierende Hochform von menschlichem Selbtszwang qualifiziert werden ? Der moderne Mensch lebt bekanntlich in einem Zeittunnel, einer Zeitrhythmik, die mit der Skandierung von Frömmigkeitsübungen einstmals Konturen erhielt. Das zeitliche Durchdenken von Tätigkeit, die Einteilung der Arbeitsstunde in Halbe- und Viertelstunde, Minuten und Sekunden in den ersten „Kloster-Fabriken“ des Frühkapitalismus definiert hierbei „nicht einen zeitlichen Rahmen für eine Tätigkeit und auch nicht bloß einen von außen auferlegten kollektiven und obligatorischen Rhythmus, sondern ein Programm, das die Durcharbeitung von Tätigkeit selbst gewährleistet und ihren Ablauf und ihre Phasen von innen her kontrolliert“. Neben der Zergliederung von Zeit figuriert damals jenes Programm, das den Körper und die Geste des Menschen, insbesondere des Arbeiters in ihrer Zusammenschaltung zum Inhalt hat: In vielen Verordnungen des 18. Jahrhunderts wird z.B. die Schrittlänge eines Arbeiters vermessen, sodann normiert und standardisiert; der scheinbar komplexe Anspruch an einen Akt des „Schönschreibens“ wird als körperliche Disziplin minutiös in einer Schulverordnung normiert; das Soldatenhandwerk neu installierter, sogenannter stehender Heere wird vermittels wahnwitziger frühkinesiologischer Soldatenhandbücher zu einer sehr folgenreichen gesellschaftlichen Disziplin ausformuliert. Es ist sozusagen der Übergang von einem externen Befehl zu einem formgebenden anatomisch-chronologischen Raster, einem vordefinierten Verhaltensschema; sprich die Foucaultsche Disziplinarkontrolle, der ein gelehriger Körper von klein auf unterliegt. Die Kontinia des Selbstzwanges kristallisieren also um die Invention der Zeitplanung und seiner hierin gründenden qualitativ-dynamischen Verwebung von Zeit in menschenmögliche Arbeitskraft. Schon zu dieser Zeit wird also eine prototypische Übersetzungsfolie geschaffen, die später durch die menschlich-technische Vermittlungsleistung eines Computerarbeitsplatzes perfektioniert werden sollte. Das Grenzobjekt Computer ist förmlich ein Signum des menschlichen Zeitmanagements und alles andere als ein irrationaler Fremdkörper, oder reine Materialität eines unbelebten Dings in der Menschenwelt, die bekanntlich, ohne irrational zu sein, nicht-rational ist und nur kontingente, situative und temporäre Ordnungsleistung herzustellen vermag.
Warum wird der Assoziationsmatrix in zunehmender medialer Fokussierung die Eigenschaft des überkommenden Innovationsmotors zugeschrieben ? Zunächst unterfällt die ohnehin schwach ausgeprägte Rezeption einer angeblich funktionablen Assoziationsmatrix der Eindrücklichkeit von Erstaunen, Verblüffung und gewohntem Interesse. Fraglich ist, wie und auf welche Weise sich diese in ihrer wachsenden Gravidität gesellschaftlich verfestigen wird ? Ist es die Befürchtung, die das zukünftige gesellschaftliche Kohabitat aus organischer und künstlicher Intelligenz ausmalt, das menschliche und nicht-menschliche Spieler in der Welt zu eskamotieren scheint; sie in eine gesellschaftliche Zone ihrer Ununterscheidbarkeit verdrängt oder ist es die Angst der Menschen vor einem Auszug aus ihrer eigenen Menschenwelt ? Jenem Kandidaten kollektiver Ängste, die der Angst von Ängstigern zu entspringen scheint und die sich wiederkehrend pandemisch hineinfügt in das typische Narrativ der Zivilisationskritik ?
Wie funktioniert demnach eine eingehegte, kontrollierte Assoziationsmatrix in einem Assoziativcomputer ? Die erste Gelenkstelle einer einführenden Begriffsbildung sollte sich in dem Archetyp einer Assoziationsmatrix erschöpfen: dem menschlichen Gehirn. Es gilt wohl, dass das menschliche Gedächtnis Informationen weich, tolerant, fehlerbehaftet, konfus, affektiv oder in einem ersten Zugriff unpräzise, dann ordnend, sodann geordnet verarbeitet. Es ist das sprichwörtliche ins Gedächtnis bringende (Encodierung); das im Gedächtnis haltende (Speichern) und das aus dem Gedächtnis holende (Abruf) Gefühl von informationsvermittelter Kontinuität im Denken, die dem Menschen selbstidentifizierendes Bewusstsein zumindest imaginiert. Freilich wird solches nicht als Rechenleistung empfunden. Die neurowissenschaftlichen Theorien des Gedächtnisses weisen (vor dem Hintergrund einer hier allenfalls kursorischen, somit auch verwässernden Darstellung) verblüffende Affinitäten zu den Darstellungen eines Informatikers zur Funktionsweise eines Assoziativcomputers auf, die in ihren rudimentären Funktionsbeschreibungen geradezu austauschbar wirken: Der Assoziationsmatrix ist insoweit eigen, dass sie einzelne Informationen vermittels einer Strukturpfad entkleideten Datenspeicherung innerhalb einer unbekannt dimensionierten Matrix verarbeitet, wobei die Einzelinformationen mit keiner Suchoption isolierbar und ursprünglich detektierbar sind (im Grunde kann nur ein Mensch oder eine Maschine diese Matrix verstehen, nachvollziehen, wenn er/sie Kenntnis von den Dimensionen der Matrix hat); die Datenbruchstücke sind atomisiert und defragmentiert auf der Festplatte enthalten, sie emergieren nur punktuell und situativ zu einem Datensatz, der sich bei erneuter Interaktion mit ähnlichen Implikationen (Fragen an die Maschine) niemals deckungsgleich reproduziert. Die Assoziationsmatrix vergleicht wie der Mensch vermittels Encodierung, Speicherung und Abruf, welches nach dem Grad omnipotenter Fütterung je aus einem unterschiedlichen, interdisziplinären Fundus herrühren könnte - sie assoziiert demnach nicht in Form einer Kaskade, das heißt eine Gleichförmigkeit von aufeinanderfolgenden Operationenen pro Rechenschritt hervorrufend, sondern vermittels simultan wirkender Vektoren, die sich addieren oder gar widersprechen können. Prospektiv assoziiert ein AC also nicht nur das fehlende rechte Bein des Buchstabens A (als Korrektur menschlichen Versagens), sondern bei erwarteter Weiterentwicklung komplexe Strategien z.B. vermittles syntaktischer oder linguistischer Einbruchstellen oder gar durch selbsttätige, kumulierende Interpretation von Einzeldaten innerhalb eines Problemansatzes.
Eine informationsverarbeitende Ebene tiefer verortet sich das vielerorts diskutierte Phänomen der Algorithmen, die sich zuvörderst - technisch vermittelt - „aus endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten zusammensetzen und (...) bei einer Problemlösung eine bestimmte Eingabe immer in eine bestimmte Ausgabe überführen“ (Beispiel: Codecs für Multimedia). Im Grunde kontrastiert dieser lexikale Beschreibungshorizont eines Algorithmus, der von unbedingter Finitheit und Determiniertheit geprägt ist, einen gemeinschaftsrechtlichen Diskurs zur europäischen Datenschutzrichtlinie, der aktuell vor dem Hintergrund der datenschutzrechtlichen Verschleifungsmöglichkeit oder -unmöglichkeit des Normfragments sogenannter „legitimer Interesssen des Verarbeiters“ und des eigentümlichen Eigenlebens solcher hier gemeinter Algorithmen geführt wird. In erster Linie geht es sicherlich um die mannigfaltigen, rechtlichen Opt-Out-Möglichkeiten der jeweiligen Datenverarbeiter, die im wesentlichen der Unabgeschlossenheit des Rechtstextes geschuldet sind. Es geht aber auch um eine schon gestalterisch wirkende, also infiniten Vermittlungsleistung von Algorithmen, die weder mathematisch, technisch noch juristisch nachgezeichnet oder gar vorhergesagt werden kann: Der einer Datenverarbeitung zustimmende Konsument oder Dienstleistungsempfänger eines Unternehmens oder einer Behörde kann im Zeitpunkt seiner Datenfreigabe weder seitens des Datenverarbeiters noch des Software-Herstellers über die Reichweite und Intensität der Nutzung, d.h. die selbsttätige Multiplikation an andere Datenverarbeiter, die nicht direkt durch den in Rede stehenden Freigabeakt der Daten bedient wurden, aufgeklärt werden. Selbst den Programmierern der Algorithmen scheint es unmöglich, dritte nutznießende Datenverarbeiter zu isolieren: Diese Weitergabe seitens des Algorithmus unterliegt also in ihrer Multiplikation einer Form von Randomisierung, die sich niemals deckungsgleich reproduziert. Eine rechtlich hinreichende Einwilligung in diese menschlich unbeherrschte Datenverarbeitung erscheint vor dem Hintergrund datenschutzrechtlicher Minimalkriterien als unmöglich.
Es drängt sich sodann etwas ins Bewusstsein: die Beschreibungsmuster einer AM verwickeln uns sofort mit den ursprünglichen, profunden Kernthesen der Akteur-Netzwerk-Theorie (fortan ANT). Radikal schien das Denken, dass sich Identität durch mannigfaltige Relationen zu einem sogenannten signifikanten Anderen herausbildet, also die Selbstbildungs- von Fremdbildungsprozessen abhängen. Das provokatorische Hintergrundsummen der ANT erschöpft sich zuallererst darin, diesen transformatorischen Schritt ihrerseits zu radikalisieren, indem sie sagt, dass nicht nur der oder die Andere Handlungsfähigkeit evoziert, sondern auch das Andere. Jeder Akteur trifft innerhalb seiner initiierten Handlungsabläufe auf Widerstände - ein vollumfänglicher und hinreichender Überblick eines Marktsegments etc. - die ihn zu Ausweichbewegungen und Umwegen führt, die ihm je neue Bewältigungsstrategien, mitunter kommunikatorische und zwischenmenschliche Persuasion abfordern. Für diese Korrektive stehen ihn Techniken aber auch Technik zur Seite; er akquiriert in jedem Fall einen weiteren Akteur mit eigenem Handlungsprogramm. Es stellt sich hierin u.a. eine technische Vermittlung, eine Verschiebung von Handlungsprogrammen ein, was in der symmetrischen Sprache der ANT das bezeichnet, was einen Akteur handeln lässt. Eine Vermittlung heißt aber auch Komposition: Vermittlung ist immer ein sich aus heterogenen Elementen zusammensetzender Prozess; wobei zunächst nicht sichtbar wird, welche raum-zeitlichen, technischen und personellen Verschaltungen erforderlich werden, um z.B. rudimentäres Online-Banking zu ermöglichen. Die ANT im Stakkato: Sie versteht sich als Soziologie der Assoziation und ungleich einer der sozialen Tatbestände, sie geriert sich im Grunde als eine ko-konstruktivistische Beobachtungsheuristik, die weder eigentliche Theorie sein will oder nach ihrem Verständnis sein muss. Sie ist prozessorientiert und weniger theoretisch konnotiert; sie stellt auf Objektivierung und nicht auf das konstruierende Individuum ab. Sie öffnet und schließt soziale Systeme jeder Art und Ebenenunterscheidung, sie verschleift Netzwerke menschlicher Akteure und vermittelnder technischer Artefakte in einer Vorläufigkeit, in ihrer formgebenden und zugleich formauflösenden Eigenschaft vermittels eines Kontingenzgedankens.
Soziologistischer Grundtenor ist, dass in der sozialen Welt Ursache-Wirkungsketten stets relativ sind, sich soziale Gesetze niemals wie Naturgesetze beweisen lassen. Stets kommt es zu (immerhin als zulässig erachteten) graduellen Brüchen innerhalb dieser Ursachen-Wirkungsrelationen, die denklogisch kontingentem Freiheitsgebrauch menschlicher Akteure geschuldet sind. Die ANT sieht hierin dennoch zwei wesentliche Irrwege der Sozialwissenschaften verwirklicht:
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Der Fehlschluss fortgesetzten Beharrens auf solche weitgehend abgeschlossenen Ursachen-Wirkungsrelationen, die unter diesen Bedingungen als Realabstraktion dienbar gemacht werden; die einzig beschreibbar bliebe als Veränderung in der Gesellschaft, die als Leistung planender Vernunft zur Vernunft der heute Planenden in unmittelbare Beziehung gesetzt werden kann. Überdies würde hiernach eine Begriffsbildung erforderlich, die ohne dezidierte begriffliche Klärung einen Untersuchungsgegenstand (natürlich findet eine erfahrungswissenschaftliche Begriffsarbeit statt) durch einen weiteren aber lediglich anderen ersetze, d.h. durch einen Exzess von begrifflichen Erfindungen, Begriffe an den Prozess sozialwissenschaftlicher Beschreibung herangetragen würde, ohne dass diese Begriffe selbst eine Rolle spielen könnten (Die Begriffe Mikro und Makro haben für die ANT überhaupt keinen Nährwert). Diese Bewegungsbeschreibung gesellschaftlicher Wirklichkeit, als eine Diagnose planender Gesellschaften erschöpft sich demnach auch nur darin, gesellschaftliches Planen fortgesetzt anzuempfehlen. Adorno, in den Prismen zu Mannheim: „Die Abstraktionsschritte sind ihm (dem Sozialwissenschaftlicher) willkürlich, solange sie nur in Übereinstimmung mit einer differenzierenden und korrigierenden Erfahrung bleiben. Er verbietet sich die Konsequenz, dass die vorurteilslose Registrierung der Tatsachen fiktiv ist; dass der Sozialwissenschaftler nicht ein unqualifiziertes, chaotisches Erfahrungsmaterial zu ordnen hat, sondern dass das Material seiner Erfahrung die soziale Ordnung ist, ein ‚System‘ im härteren Sinne als je die Philosophie eines erfand; und das über Recht und Unrecht seiner Begriffe nicht sowohl deren Allgemeinheit und andererseits deren Annäherung an reine Fakten entscheidet als vielmehr, ob sie die realen Bewegungsgesetze der Gesellschaft zureichend fassen und die widerspenstigen Fakten auf jene transparent machen.“
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Die Überwindung einer Asymmetrisierung von nicht-menschlichen Akteuren und technologischen Artefakten innerhalb der Gesamtperformanz eines sozialen Netzwerkes. Die Computertechnik, die neue Maschine, wird schon frühzeitig in der Technikforschung als Grenzobjekt wahrgenommen - „vermag jenes doch Sozialtechniken hervorzubringen, die den Menschen zum Objekt eines social engineering mache, das ihn bis in seine Struktur hinein zu manipulieren gestatte“. Hans Freyer dehnt mit diesem Denken den Technikbegriff seiner Zeit, der noch vorwiegend von der sogenannten Automationsdebatte der 1950/1960er Jahre geprägt ist, ins Nicht-Stoffliche aus (Der Mensch, so Ahrendt, passt sich sich den Maschinen an, weil er ein bedingtes Wesen ist, so dass ein jegliches, ob er es erfindet oder vorfindet, zur Bedingung seiner Existenz wird). Die technisch-stoffliche Materialität, die Hardware des toten Dings, verwebt sich über eine Software mit dem Nicht-Stofflichen des menschlichen Denkens eben zu diesem damals so gedachten Grenzobjekt. Die Anwender werden in dessen Angesicht (Computisierung der Arbeitsplätze) dazu genötigt, ihr Denken, ihr formal-logisches Denken permanent mit der Maschine symbiotisch abzugleichen. Das interne Gedachte verschränkt sich in einem schöpferischen Akt mit dem nahezu simultan auf einem Bildschirm sichtbar Gemachten. Das Invisibilisierte wird in der materiellen Maschine, dem Ort des Zusammenflusses, zu etwas Äußerem.
Die ANT vermeidet sowohl die Arbeit mit freischwebenden Ursachen- und Wirkungsrelationen (1) als auch die, die eine unbedingte Ausklammerung/Herausschreibung sogenannter Mensch-Maschinen-Hybriden aus dem Problemansatz verwirklicht wissen will (2), indem sie nicht von einem ‚modernen‘ Verständnis von Differenz und Trennung (‚Das Zwei-Kammernsystem‘ bei Latour), also von einer aufgespaltenen politischen und epistemologischen Repräsentanz von Subjekt, Kultur und Gesellschaft auf der einen Seite und Objekt, Natur und Wissenschaft auf der anderen Seite sprechen will. Vielmehr stünde eine prozessierende Assoziierung des sich selbst konstituierenden Sozialen im Fokus, sozusagen als Form beobachtungsheuristischen Monitorings sozialer Bewegungswirklichkeiten. Latour sieht demnach seine Gründungsthesen nicht als Soziologie an, sondern denkt sie als experimentelle Metaphysik (Latour: „Wir sind nie modern gewesen.“). Jener strikt dualistischen Verfassung der Moderne sei mithin das Paradox einer dynamischen und fortgesetzt dynamisierenden Ausbreitung von solchen Hybriden eigen, die sowohl sozial, diskursiv und natürlich sind, und sich einer binären Zuordnung entzögen: „Die moderne Verfassung erlaubt gerade die immer zahlreichere Vermehrung der Hybriden, während sie gleichzeitig deren Existenz, ja sogar Möglichkeit leugnet.“ Eine Überwindung dieses Zustandes vermittels der heute stark in methodologischer Diffusion aufgelösten ANT zeitigt denklogisch auch einen Anspruch auf eine neue zu denkende politische Theorie oder zumindest in einer praktischer konnotierten Lesart als Form neuer Politik (vgl. Latours Parlament der Dinge). Die ANT vermag klassische, scheinbar nicht hinterfragbare Arbeitsfolien soziologischer Erfahrungswissenschaft zu neutralisieren: Der unaufhörlichen Suchbewegung der Soziologen nach einer Verschränkungsmöglichkeit der auf der Mikroebene handelnden Akteure mit der sogenannten Makroebene gesellschaftsweiter Strukturbildung wird von der ANT das Kriterium „selbstähnlicher Prozesse“ entgegengeworfen, das nicht nur von einer strikten Ebenenunterscheidung bereinigt ist, sondern auch ein ‚Dahinter‘ erfundener sozialer Strukturen - zum Beispiel im Ausdruck einer Bordieuschen „Illusio“ - ausgeschlossen wissen will. Der ANT zufolge bestünde die Aufgabe der Soziologen darin, die Prozesse der Assoziierung, „die erst das Soziale erzeugen, nachzuverfolgen und nachzuspüren, anstatt zu glauben, als einzige die Kraft zu haben, dahinter zu schauen und die wahren Kräfte zu sehen“. Es wird hierdurch auch ein wesentliches poststrukturalistisches Moment in einer bewusst zugespitzten Pointierung nochmals erweitert. Das der Dezentrierung des Subjekts: Das Subjekt sei hiernach nicht Effekt von Diskurs, sondern das Produkt von verschiedenen heterogenen Materialitäten. Michel Serres weist solchen Materialitäten schließlich den Status von Quasi-Subjekten oder Quasi-Objekten zu. Es liegt also der Gedanke einer Gleichbehandlung, einer Gleichberechtigung der intersubjektiven und interobjektiven Verständnisse von Ursachen und Wirkungen zugrunde.
Wie lässt sich nunmehr eine bis hierher ausdifferenzierte Assoziationsmatrix in eine Sozialmatrix im Sinne der ANT (1) als sogenanntes technisches Artefakt hineinverweben und (2) als handlungsgleicher Mensch-Maschinen-Hybrid, als Aktant hineindenken ? Ein computisierter Arbeitsplatz erfüllt sicher den Gesichtspunkt unter dem Anstrich (1) und erfüllt wohl diesen unter (2) nach einer Ausstreichung des Wortes ‚handlungsgleich‘. Wie kann die selbsttätige Assoziationsmatrix eines Assoziativcomputers - ungeachtet offener Formen autonomer oder extern vermittelter Wissensaneignung der Matrix - beide Punkte vollumfänglich ausfüllen ? Die personalen und maschinell-technischen Zwischenglieder eines sozialen Netzwerkes übertragen eine Ursache, die von den Inskriptionen einzelner Initiierender, also von einem vorgeschalteten Lösungsansatz herrühren, in ein Resultat, das durch kontingenten Freiheitsgebrauch graduelle Unschärfen produziert, ohne jedoch, dass im Zuge dieser Übertragung das Resultat in seinen wesentlichen Inhalten noch verändert würde. Im Idealfall scheinen innerhalb eines sozialen Problemansatzes, Ursache und Wirkung in eins zu fallen. Das Handeln durch Zwischenglieder zeitigt insoweit hinreichende Formen der Kalkulierbarkeit. Innerhalb eines sozialen Netzes muss das Ziel sein, Unschärfen abzubauen, z.B. durch die Produktion vereinfachenderer Beschreibungen/Deskriptionen von Handlungsparameter für einbezogene Aktanten. Die Netzwerke unterliegen in dieser Suchbewegung nach Stabilität einer Tendenz dynamischer Substitution: Es gilt unberechenbare Akteure weitgehenst durch berechenbare Aktanten als intermediäre Mobile, sprich technische Artefakte oder Mensch-Maschinen-Hybride, auszutauschen. Die Gesamtperformanz der Handlungsketten eines sozialen Netzwerkes, im Ausdruck ihrer konstitutiven Verschleifung von Intersubjektivität und -objektivität, sprich der vermehrte Einsatz sogenannter Mensch-Maschinen-Hybriden, ermöglicht gerade die effektive Reduzierung von Kontingenz. Die technische Vermittlungsleistung eines Mensch-Maschinen-Hybriden (voran der Computerarbeitsplatz, die Kommunikation vermittels EDV etc.) verbleibt aber fortgesetzt innerhalb kalkulierbarer Parameter eines sozialen Netzwerkes - also innerhalb oben dargelegter Abschwächungserscheinungen - und erweist sich im Ergebnis als eine perfektionierte, Kontingenz reduzierende Folie akzeptabler Zwischenglieder. Was passiert an dieser Stelle, an der sich die Einschätzungsprärogativen einer AM eines AC in die Praxis eines solchen sozialen Netzes hineinschleicht ? Im Gefüge eines sozialen Netzwerkes müsste diese Leistung demnach als handlungsgleicher, performativer Akt abgebildet werden - der Assoziativcomputer als Aktant Information produzieren und selektieren, die äquivalent zu menschlicher Leistung im Netzwerk verarbeitet wird und sich somit als handlungsgleicher Akt in die Gesamtperformanz eines Netzwerkes einstellt. Letztlich vermag eine AM ja nach bisher festgestellter Funktionabilität und Potenz und prospektiver, technischer Weiterentwicklung, über eine Interobjektivität hinaus- und an eine äquivalente Form von Intersubjektivität (zunehmend komplexer werdende vektoriale Informationsverarbeitung) heranzutreten, was selbst eine Gleichbehandlung von Intersubjektivität und Interobjektivität durch die ANT zur Disposition stellen würde. Keiner der beteiligten menschlichen Akteure könnte realisieren, wann und wie sich eine AM innerhalb des Übertragungsweges als Eigenleistung, als Ursache - ohne jedoch Ursache und Wirkung zu sein - performativ in Szene setzt, also die Performanz der Gesamthandlung eines Akteur-Netzwerkes eigenständig modifiziert und Arbeitsleistung an einen anderen Akteur als nächstes Glied in der Kette weiterleitet. Der selbstätige Akt einer AM in ihrer dialogischen Verschaltung mit anderen Akteuren, sei es einer zwischen einer Maschine und einem Menschen oder sogar ein reiner Maschinendialog, könnte nicht mehr detektierbar, nachvollziehbar werden. Ein Assoziativcomputer stellt revidierend sich als ein neues unberechenbares Zwischenglied, als Kontingenz förderndes Moment innerhalb der Gesamtperformanz in das Netz ein, welches sich zuvörderst durch den Einsatz klassischer Computerarbeitsplätze geradezu abgebaut wissen wollte.
Die Novität heutiger und zukünftiger Möglichkeiten vektorialer Informationsverarbeitung durch eine Assoziationsmatrix könnte dennoch für bestimmte Alltags- und darauf aufruhende Gesellschaftsenklaven dahingehend fruchtbar gemacht werden, als sie verloren geglaubtes Terrain zurückerobert: Die dialogische Übersetzungsleistung innerhalb des menschengemachten und sich förmlich selbst überlassenen - somit dilemmatorischen - Hochfrequenzhandels, der Dialog zwischen einem Aktienalgorithmus und einem Börsenalgorithmus ist bekanntlich jeglicher menschlichen Kontrolle entzogen. Eine retroaktive Evaluation eines Handelszeitfensters von einer Minute (das heißt, ein Mensch versucht eine Minute Handelszeit zu rekapitulieren) erfordert je nach Börsenplatz einen Zeitansatz von mehreren Stunden, Tagen oder sogar Wochen. Schon ein hierfür zielführender und korrespondierend anzusetzender Personalansatz der amerikanischen SEC konterkariert einen jeglichen Anspruch hinreichender Börsenaufsicht. Diesen reinen Maschinendialog in seiner echtzeitlichen Bewegungswirklichkeit evaluierbar, in seinen Umfängen sichtbar und reproduzierbar zu machen, ist mithin ein denkbares Einsatzszenario für den Assoziativcomputer zukünftiger Generationen - nur für eine dritte Maschine ist ein solcher Hochfrequenzdialog zwischen zwei anderen Maschinen überhaupt sichtbar. Einhergehend liefert die augenmerkliche Tatsache der technischen Fragilität und Störungsanfälligkeit der Handelssysteme eine weitere Einbruchstelle für das Korrektiv einer Assoziationsmatrix: Festgestellte 18000 Systemabstürze seit 2006 generierten zurückliegend unzählige sogenannte UUEs, also ultraschnelle extreme Ereignisse, die binnen Sekunden faktisch als auch potentiell Milliardenwerte schaffen, sodann wieder vernichten können. Auch diese mikrosekundenschnellen Friktionen aus Preisanstieg/-sturz und Kurserholung/-verfall sind denklogisch für partizipierende menschliche Aktuere vollends invisibilisiert. Die Invention von menschlich-maschinellen Korrekturen, die Entgrenzungen wie den Hochfrequenzhandel domestizieren könnten (der durch selbsttätige Maschinentechnik vor dem Menschen invisibilisiert wird, sodann aber durch eine weitere technische Vermittlungsleistung wieder eingehegt, sprich für den Menschen sichtbar und nachvollziehbar werden könnte) könnte auch die gesellschaftliche Suchbewegung/Aspiration nach unternehmerischer und staatlicher Transparenz und Regelbefolgung in einer Verlässlichkeit präzisieren, professionalisieren und von Fehlleistungen bereinigen. Compliance als Übersetzungsprozess zeitigt heute schon hochgradige technische Vermittlungsleistungen durch Mensch-Maschinen-Hybriden. Dennoch wird sie in ihrem zweistufigen Verständnis (Phalanx computiserter Abfragen und Überprüfungen und einer aufruhenden, situativen und anlaßbezogenen investigativen Phase durch einen Menschen) in letzter Konsequenz durch eine menschliche Leistung dominiert. Vermittels eines AC wäre es indessen denkbar, dass ermittlerische Intuition durch eine Assoziationsmatrix substituiert werden könnte (Auch im Zusammenhang von Compliance ist das Ansinnen von Kostenersparnis bereits Gegenstand statistischer Evaluation) - wie kann eine Assoziationsmatrix summarische Informationen so zielführend assoziieren, dass Anfangsverdachte hinsichtlich eines z.B. abstrakt zugänglichen Moments wie die Beurteilung sogenannter PEPs, also politisch exponierter Personen verifiziert werden können - dessen Einschätzung heute einzig menschlichen Akteuren zukäme ? Die Arbeitsleistung eines AC müsste insoweit ermöglichen, dass z.B. eine Aqkuirer-Bank qua einer autonomen Einschätzungsprärogative einer Assoziationsmatrix Kreditkartenneukunden nicht nur als liquide, sondern auch als ‚würdig‘ im Sinne der Vorstellungen von Regelbefolgung, also unter dem Gesichtspunkt eines vollumfänglichen Online-Due-Diligence-Prüfverfahrens einstufen könnte: Die künstliche AM könnte sich perpektivisch als ein performativer Akt innerhalb einer Gesamthandlung iSd ANT abgebildet wissen, vermöge dessen und wider einem klassischen Computerarbeitsplatz (der vollkommenste Mensch-Maschinen-Hybrid, der prädestiniert ist, Kontingenz zu reduzieren) neue Formen von Unsicherheit eingestellt werden könnten. Wie zuvor kurz angezeigt, würden potentieller Destabilisierung jedoch fruchtbare Einsatzszenarien einer AM entgegengeworfen werden können: die Fähigkeit, durch ihre selbsttätige Vermittlungsleistung eine menschlich-technische Vermittlungsleistung zu korrigieren (eine solche, die sich bereits entgrenzt hat, wieder einzufangen: vgl. Hochfrequenzhandel), zu optimieren und zu stimulieren (das soziale Netz bereichern und entlasten). Ist solche schon wundersame, mitunter mit Befürchtungen behaftete, neuerlich geschaffene oder zu erwartende Unsicherheit hinnehmbar ?
Das Credo der ANT erschöpft sich gerade in der Einsicht, dass Unsicherheit den sozialen Netzen irreversibel intern ist (1) und die Kontrollversuche solcher konstanter Unsicherheit vermittels kontingenzreduzierender Korrektive, Unsicherheit nie vollständig aufzulösen vermag (2). Dieses konstitutive Hintergrundsummen der ANT fordert einem Interessierten hernach auch die Lektüre postfundamentaler, insbesondere hantologischer Beschreibungsmuster moderner Ontologiebegriffe ab, die zunächst einer wesentlichen konzeptuellen Innovation des Denkens vom Politischen geschuldet ist. Ein Begriff des Politischen, der nicht eine „neue Stiftung der Politik durch das Denken sucht, sondern die politische Stiftung des sogenannten westlichen Denkens detektiert“. Die verschiedenen Autoren sahen den stringenten fundamentalistischen Horizont der verschiedenen Sozialwissenschaften (und den konventioneller politischer Theorie) vehement einem krisenbehafteten Störfeuer ausgesetzt, was Lefort schließlich kurz mit der „Auflösung der Zeichen der Sicherheit“ treffend rubriziert. Hervorgegangen war solches aus der krisenbedingten Selbsterkenntnis, dass die eigenen fundamentalistischen Gewissheitssysteme keine hinreichend sicheren Zugänge zu einer letztgültigen Gründung des Sozialen leisten könnten. Die sprichwörtliche Prozessbeobachtung dieses Zerfalls an unerschütterlicher, sozialwissenschaftlicher Gewissheit wurde durch eine prominent besetzte Autorenschaft in das Spiel postfundamentalistischer Theorie hineingeschrieben; die überdies in ihrer je zeitlichen Rezeption ein genetisches Kontingenzdenken spiegelt, weitergibt und vordergründig oder scheinbar inkommensurables Denken bündelt (Schmitt und Ahrendt, Nancy, Labarthe und Heidegger u.s.w.). Marchart pointiert jüngst seine Ansicht zu einer denklogisch hieraus resultierenden Differenz von Politik und dem Politischen dahingehend, dass diese differentielle Form schlussendlich überragendes Indiz eines abwesenden Grundes von Gesellschaft demaskiere. So teile sich die Begrifflichkeit von sozialer oder gesellschaftlicher Gründung in bidirektionale Momente aus der Unmöglichkeit einer Letztgründung und der Möglichkeit kontingenter, also punktueller und temporärer Gründung: Eine nicht abschließbare Hegemonie konkurrierender Gründungsversuche, die in ihrer konzeptuellen Differenz gerade auf die Differenz zwischen Politik und dem Politischen hinweist - sozusagen deren Differenz als Differenz und diesen Ent-zug des Grundes anerkennt (also das Spiel mit der bewussten Anleihe Heidegger‘scher ontisch-ontologischer Differenz oder Derrida‘scher differance). Denn der abwesende Grund, der eigentlich in seiner Abwesenheit stets anwesend bleibt, könne niemals vermittels der vorhandenen ontischen Kapazitäten politik- und sozialwissenschaftlicher Positivierung detektiert werden. Die entkleidete Gewissheit mündet in die Bewusstwerdung menschlicher Gesellschaft, die nur noch an der Nahtstelle zwischen einem Fundamentalismus, also der Gewissheit sicherer Fundamente, und einem in Schach zu haltenden Antifundamentalismus organisiert werden kann: an einem postfundamentalistischen Horizont der Gründung und Entgründung.
Menschenursächliche Kontingenz und hier beschriebene maschinell, technisch indizierte Kontingenz sind in ihrer möglichen Verschaltung - und unter der Prämisse diagnostizierter, konstanter Unsicherheit - beide innerhalb eines gemeinsamen sozialen Habitats menschlicher Akteure und technischer Artefakte nicht länger a) in einer hermetischen Asymmetrisierung und b) in Form einer absoluten Exklusivität denkbar. Akzeptiert man demgemäß das Moment prototypischer Unsicherheit und korrespondierende, partial erfolgreiche Kontrollversuche von Unsicherheit als eine sozusagen anthropologische Konstante, so ist der ‚unberechenbare‘ Beitrag einer künstlichen Assoziationsmatrix eines Assoziativcomputers, die sich in ein solches atomisiertes Portfolio eines „alles ist je auch anders möglich“ hereinzuschreiben vermag, nicht nur ein hinnehmbares, sondern auch ein kalkulierbares Risiko.
Keine Angst vor der Maschine ! Shoshana Zuboff versuchte unlängst, anhand eines die Automationsdebatte nochmals übersteigenden ‚Ereignisses‘ - das im Angesicht einer nicht mehr nachvollziehbar erscheinenden Weltökonomie, einem unreflektierten Sprung in ein Paradox gleichzukommen scheint - alte ökonomische Gewissheiten neu zu denken: Die Substitution von menschlichen und menschlich-technisch vermittelten Arbeitsplätzen auch durch autonome, menschenentkleidete Arbeitsplätze, nicht als Gefährdung, als ein fatalistisches Unausweichliches zu stigmatisieren, sondern ein Grundübel zu fokussieren, das nachwievor im Menschenwerk zu suchen sei. Dieses typische und von ihr kontrastierte Narrativ der Kritik, schon in Form eines kulturkritischen Affekts, formiert sich vehement um die Embleme einer Rhetorik von Zwangsläufigkeit oder digitalem Determinismus, die einem Jeden wegen seiner individuellen Verstricktheit als Wirtschaftssubjekt, ein systemstabilisierendes Angleichungshandeln an das angeblich irreversibel Gegebene der Bewegungswirklichkeit ‚Ökonomie‘ abzunötigen scheint. Sie spricht hierin von den (hinlänglich bekannten) Täuschungsmanövern der großen Player in der Weltökonomie, vermittels derer sie die entgrenzten und scheinbar resistenten Eigendynamiken zu demaskieren versucht: Durch eine sich einhellig versammelnde Zitation einer mehr oder weniger profunden (stereotypischen) Prophetie, die Aufweis gibt über aktuelle Zustände und zukünftige Entwicklungslinien der Ökonomie (nach der sich der Mensch zwangsläufig selbst aus seiner Menschenwelt herausschreiben muss), öffnet sie einen schon programmatischen Fatalismus vermittels eines naheliegenden Werkzeuges, das einfach-praktikabel und dennoch dem heutigen ökonomischen Bewusstsein entronnen zu sein scheint: Es sei eine Renaissance des von ihr spezifisch-aktualisierten alten Kapitalismus zu erwägen, besser: zumindest eine gewisse Transponierung oder Adaption der organischen Plastizität des alten Kapitalismus, insbesondere der situativen Wandelbarkeit in seiner Kontrastierung zur aktuellen, in sich unentschiedenen Weltökonomie anzustreben. Der Fokus auf die asubjektive und purifizierte, menschliche Arbeitskraft substituierende Ausbreitung intelligenter Maschinen in der Arbeitswelt verdrängt die Bewusstwerdung einer viel bedeutenderen Kraft, die nicht vor der Menschheit invisibilisiert ist: Der Mensch bleibt auch im Angesicht omnipotenter Maschinen Schöpfer verzerrter Unternehmenspraxis und versteckter Geschäftsmodelle. Und nur diese Verunsicherung vermag es, notwendige informationsvermittelte, kulturkritische Empörung zu camouflieren oder zu neutralisieren - Ein Stellvertreterkrieg wider künstlicher Maschinen macht jedenfalls keinen Sinn. Man sollte dem Zusammenfassenden Shoshana Zuboffs in der Tat die Eigenschaft eines nur uneigentlich verschwundenen Paradigmas zugestehen. „Es gibt, abgesehen von Gewohnheit, keinen Grund zu der Annahme, dass Marktwirtschaft nur in einer ganz bestimmten Weise funktioniert. Das Gegenteil ist der Fall. Ein brüchiger Kapitalismus übt seine Gravitationskraft auf die digitale Welt aus. Aber die Erfolge des alten Kapitalismus beruhten auf seiner Plastizität, seiner Fähigkeit, sich immer neu anzupassen an die sich wandelnden Bedürfnisse der Menschen. Die Gesetze der heutigen Marktwirtschaft oder der von ihr inthronisierten Politik sind nicht unabänderlich oder zwangsläufig. Es wäre unrealistisch, zu glauben, wir könnten und dürften die heutigen Verhältnisse nicht in Frage stellen.“
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